Nach 20 Jahren eine dicke Lippe riskiert So rocken Sum 41 in Düsseldorf
Düsseldorf · Die kanadische Band stellte in der Mitsubishi Electric Halle unter Beweis, dass sie inzwischen musikalisch weit mehr ist als ein Skatepunk-Nümmerchen.
Der Abend beginnt mit einem Piano-Intro, harten Gitarren-Anschlägen und einem Schlagzeugwirbel, der sich in einem inspirierten Rocksong entlädt. Moment – sind das die halbstarken Rotzlöffel, die damals im Video ihres Hits "Fat Lip" (dt. "dicke Lippe") zwischen Skateboards, Badewannen und Stachelfrisuren zu den bekantesten Gesichtern des Pop-Punks wurden? Ja, das sind Sum 41 und nein, das ist keine Skater-Musik à la 2001 mehr. In ihrem Opener "Turning Away" vom neuen Album "Order in Decline" entlädt die kanadische Band zunächst einmal ein druckvolles Stück Gitarrenmusik auf das Publikum in der prallgefüllten Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf. Wohin mit dem Sound? Punk? Metal? Indi? Alternative?
Nicht lange denken, pogen - so lautet das Motto an diesem Donnerstagabend. Denn das Publikum von damals mag zwar gealtert sein, aber müde geworden ist hier keiner.
Reifer klingt sie, die "Number-Band" von damals. Doch auch wenn der Mainstream dem Pop-Punk den Rücken gekehrt hat, Sum 41 haben weitergemacht. Immer härter wurde die Gang-Art, erwachsener die Texte und ausgefeilter die Song-Arrangements.
Doch wer denkt, dass Sum 41 sich ihrer punkigen Vergangenheit schämen, liegt falsch. Nach dem neuen Eröffnungsstück entlädt sich eine Konfetti-Kanone über der Menschenmasse und es folgt mit "Hell Song", "Motivation", "The Bitter End" und "Over My Head (Better Off Dead)" ein Pop-Punk-Adrenalinschub. Keines dieser Stücke ist jünger als 15 Jahre, doch abgestanden schmeckt diese Kost zumindest den Anwesenden nicht. Denn jetzt dreht die Menge auf : vom Schonwaschgang zur zerrissenen Hose. Pogo, Hochsprung, Crowd-Surfing, Bierbecher-Weitwurf - in den vergangenen 20 Jahren seit Sum 41 ihre erste LP "Half Hour of Power" veröffentlichten, hat hier niemand etwas verlernt. Der inzwischen fast 40-jährige Frontmann Deryck Whibley orchestriert die Party. Immer wieder weist er die "Motherfucker" vor der Bühne darauf hin, dass es gleich Zeit ist, auszurasten und inszeniert "Circle Pits", in denen rabiat im Kreis getanzt wird.
Dass Whibley selbst auch gerne noch einmal das Aroma von Schweiß, Zigaretten und Bier im Haar einatmet, beweist er bei der Hymne "Underclass Hero", bei der er unterstützt von ein paar Ordnern, das Publikum mitten in der Halle besucht. Nun steht die hintere Reihe plötzlich ganz vorne. Das passt dann auch zur Philosophie des Songs. Und weil es mitten in der Menge so schön ist, performt das 1,70 Meter große Energiebündel (mit Frisur 1,80 Meter), von dort auch noch die Ballade "Pieces".
Nach zwei eindrucksvollen Zugaben – unter anderem mit einer Punkversion von Queens' "We will rock you" und dem Piano-Stück "Never there" – entlässt Sum 41 ihre "Familie", wie Whibley die Düsseldorfer auch gerne nannte, in die Nacht. Froh schien der Sänger zu sein, dass es kein Kindergeburtstag geworden ist. Er sagte in einer seiner wenigen längeren Ansprachen: "Ich habe Leute gesehen, die Schuhe gegen den Kopf bekommen haben und die mit Bier überschüttet wurden. Danke."