Pöbelndes Publikum: Intendanten entsetzt

Sturm im Wasserglas oder Rassismus — hiesige Kulturchefs bewerten den Kölner Publikumsskandal in der Philharmonie.

Foto: Bernhard Musil/Deutsche Grammophon/dpa

Düsseldorf. „Extrem und ganz und gar unglaublich“, findet der Düsseldorfer Musiker Mark-Andreas Schlingensiepen, was sich am vergangenen Sonntag in der Kölner Philharmonie abspielte. Zuhörer hatten den aus dem Iran stammenden Cembalisten Mahan Esfahani mit Klatschen, Lachen und Zwischenrufen derart gestört, dass er sein Konzert unterbrechen musste. Zuvor hatte der Musiker auf Englisch eine Einführung in das 1967 komponierte „Piano Phase“ von Steve Reich gegeben, was mit „Sprechen Sie Deutsch!“ kommentiert wurde. Rund 1800 Besucher waren im Konzertsaal, etwa 150 von ihnen haben sich störend verhalten, berichtet Veranstalter Jochen Schäfsmeier von Concerto Köln.

Foto: Judith Michaelis

Schlingensiepen, seit mehr als 30 Jahren Künstlerischer Leiter des Düsseldorfer Notabu Ensembles für Neue Musik, empfindet das Verhalten als rassistisch gegenüber der Musik und dem Musiker. Dass scheinbar kultivierte Leute ein solches Maß an Intoleranz zeigen, irritiere ihn. „So ein Phänomen kenne ich nicht.“ Er frage sich: Ob es eine Verabredung gegeben habe, gegen Esfahani zu agitieren? Oder ob die Zuhörer tatsächlich so engstirnig gegenüber dem Dargebotenen gewesen seien?

Foto: David Young

Fremdenfeindlichkeit erkennt auch Schauspiel-Intendant Günther Beelitz. „Das ist furchtbar. Wir sind auf dem Weg von der Willkommenskultur zu offener Gegnerschaft“, sagt er und verbindet den Kölner Fall mit dem Zuzug vieler Flüchtlinge. Beelitz beklagt beim Publikum eine größer werdende Ungeduld gegenüber Fremdem. „Fühlt man sich überrumpelt, dann wird aus Angst geschrien und gepöbelt.“ Beelitz zitiert den Dramatiker Heiner Müller: „Die erste Gestalt des Neuen ist der Schrecken.“ Opernintendant Christoph Meyer findet den Kölner Vorfall ebenfalls fremdenfeindlich: „Da wird mir richtig schlecht.“

Foto: Tonhalle Düsseldorf

Wesentlich gelassener bewertet Michael Becker, Intendant der Tonhalle, das Ereignis. „Ein Sturm im Wasserglas“ sei das und eine „Feuilleton-Debatte“, bei der in der medialen Vermittlung vieles in eine falsche Richtung gegangen sei. „Publikum in der Masse kann extrem unhöflich sein“, gesteht er zu. Den Auslöser vermutet er indes im Musikprogramm, das Barock-Komponisten wie Bach und Komponisten von heute wie Steve Reich zu koppeln versuchte. „Das haben die Besucher am Sonntag nach Kaffee und Kuchen ungewollt festgestellt, und dann läuft so ein Konzert nicht rund. In der Gruppe haben die Menschen weniger Hemmungen, sich daneben zu benehmen.“ Man hätte ihnen erklären müssen, was sie erwartet. Und zwar auf Deutsch, so Becker, denn viele Begriffe der Musiksprache seien auch für Sprachkenner unverständlich. „Die Musik ist nicht das Problem, man muss für das Publikum Spuntwände einziehen, damit es sich sicher fühlt.“ Für die Tonhalle schließt er so einen Vorfall aus, ein solches Programm werde immer moderiert. Noch vor kurzem sei ein Konzert mit einem Stück von Steve Reich extrem gut angekommen.