Professorin Nathalie de Vries: „Reine Bürotürme sind passé“

Nathalie de Vries (48) aus Rotterdam ist die neue Professorin der Baukunstklasse an der Kunstakademie.

Düsseldorf. Nathalie de Vries (48) will neuen Wind in die Architektur und die Kunstakademie bringen. Sie ist mit ihrem Mann Jacob van Rijs und mit Windy Maas Inhaberin des renommierten Architekturbüros MVRD, das auf der Expo 2000 in Hannover mit dem holländischen Pavillon Furore machte. Sie mag keine langweiligen Bürokästen.

Frau de Vries, Ihnen eilt der Ruf voraus, rigoros und originell zu sein. Haben Sie eine Handschrift?

Nathalie de Vries: Nein. Wir wiederholen kein Gebäude, denn bei uns bestimmen die Nutzer und die Standorte das jeweilige Konzept. Außerdem lieben wir die Kommunikation. Das Hauptgebäude einer großen Bank in Oslo bauen wir als Neue Mitte für die Mitarbeiter.

Sind reine Bürotürme passé?

De Vries: Ja, diese hierarchische Herangehensweise ist nicht mehr interessant. Ein Bankdirektor kann auch unten im Betriebsrestaurant essen und nicht nur oben im Turm. Die Leute haben heute teilweise keine festen Arbeitsplätze mehr. Unabhängig davon müssen natürlich gewisse Bankbereiche separiert sein.

Sie bauen Verwaltungsgebäude mit Wohnungen obenauf. Wie erzielen Sie die Nutzungsänderung?

De Vries: Früher gab es keine durchmischten Städte wegen der Fabrikschornsteine. Aber das ist Vergangenheit. Heute wissen wir, dass unsere Städte angenehmer und lebendiger sind, wenn man in ihnen zugleich leben und arbeiten kann. Architekten und Auftraggeber müssen da neu denken.

Düsseldorf hat wenig Raum. Stadtplaner diskutieren daher Wohntürme. Wo könnte so ein Turm stehen?

De Vries: Überall. Früher gab es im Zentrum nur Büros und Shoppingmeilen, aber das ist nicht mehr so. Wir bauen gerade Wohnungen, die eine Markthalle umklammern. Dadurch verbinden sich private und semi-öffentliche Räume. Wohnhochhäuser sind wichtig für das Leben in der City, aber die unteren Etagen müssen sich durch Lobbys und Läden mit der Stadt verbinden. Ein Büro- wie ein Wohnturm sollte keine Monostruktur haben. In Chicago gibt es ein schönes Gebäude mit Einkaufszentrum, Büros und Wohnungen übereinander. Man könnte sie auch nebeneinander errichten.

Bei uns werden Industriebrachen in neue Siedlungen verwandelt. Wie würden Sie so eine Aufgabe lösen?

De Vries: Baut man ein dichtes Wohngebiet, braucht man auch einen schönen Park, eine breite Straße, einen Fluss oder ein Gewässer. Wenn man hoch baut, müssen die Außenräume großzügig gestaltet sein.

Werden Sie den Wohnungsbau in Ihrer Klasse thematisieren?

De Vries: Das ist dringend notwendig, denn leider ist der Wohnungsbau zu einem Produkt geworden, das verkauft werden muss und Gewinn bringen soll. Da sind neue Wege gefragt.

Was könnte Düsseldorf machen?

De Vries: Die Stadt darf nicht nur kurzfristig über die Gewinne nachdenken. Sie sollte sich überlegen, ob sie schwierige Grundstücke, die für Investoren nicht so interessant sind, an junge Architektengruppen vergibt, die ganz andere Typen von Häusern bauen. In Holland gibt es mehr Platz für solche Initiativen.

Die politische Diskussion dreht sich um preiswerte Wohnungen. Haben Sie Vorschläge?

De Vries: Wohnungsbau muss nicht teuer sein. Nur kann man dann nicht wie in Deutschland nur die dickste Dämmung und die schwersten Materialien verwenden und auch noch einen Teil des Geldes an die Investoren geben. Meine Erfahrung ist, dass die Leute lieber ein etwas billigeres, aber ein größeres Haus wollen. Am Anfang ist es wichtig, dass man die Räumlichkeiten, die Konstruktion, die Hardware schafft. Die Fassaden kann man später wechseln, anpinseln, mit Holz verkleiden oder mit Polyurethan ausspritzen. Die Isolierung muss allerdings gut sein.

Was ist mit den Bürosilos? Wie vermeiden Sie langweilige Gebäude?

De Vries: Indem ich das Rastersystem variiere. Man kann auch bestehende, billige Systeme ändern. Es muss ja nicht immer einzigartig und teuer sein.

Was haben Sie als Professorin vor?

De Vries: Ich würde mich gern mit Planungsdezernent Gregor Bonin treffen, denn die Baukunstklasse sollte auch Aufgaben in der Stadt übernehmen. Es ist eine wichtige Erfahrung für junge Leute, wenn sie nicht nur abstrakt arbeiten. Und die Stadtplaner erhalten frische Ideen. Beiden Seiten geht es um den Raum zum Leben mitsamt Freiflächen. Wenn man alles durchplant und auf ein Minimum begrenzt, entstehen Defizite.