Reportage: Ehepaar Leuchten verkauft Sommer
Jürgen und Margret Leuchten sind Rosenzüchter aus Hamm. Bis in den Dezember verkaufen sie Nacht für Nacht ihre Ware auf dem Blumengroßmarkt.
Düsseldorf. Es ist kalt. Eisiges Mondlicht glitzert auf dem nassen Asphalt. 3.30 Uhr, stockdunkel. Man kann seinen eigenen Atem in der Nachtluft sehen auf dem Weg zwischen Lieferwagen und Lkw hindurch über den Parkplatz an der Ulmenstraße. Aus der großen Halle beißt sich durch Glas-Schiebetüren fieses Neonröhrenlicht in die Dunkelheit. Die Flügel öffnen sich. Es ist Sommer.
Sommer in Kisten. In grauen Kisten, die Jürgen Leuchten in Regalwagen aus seinem Transporter schiebt. Stachelige Nostalgie, duftende Augusta Luise, Brillianta mit winzigen Knospen, kugelrunde und tiefrote Piano, gigantische Disneyland-Blüten. Zu Zehnen zusammengebunden schwimmen sie in trübem Wasser. Ihr Duft hängt in der kühlen Luft. Jürgen Leuchten ist Rosenzüchter aus Hamm. Einer von 68 Händlern auf dem Düsseldorfer Blumengroßmarkt, die Nacht für Nacht den Sommer unter den fiesen Neonröhren ausbreiten und ihn in Blumenläden und geheizte Wohnzimmer verteilen. Bis in den Dezember.
Die Rollläden am Snack-Express neben Leuchtens Stand sind noch unten. In allen Winkeln der kühlen Halle klappert es geschäftig. Ein Händler singt laut: "Oh mein Heideröslein..." Jürgen Leuchten muss sich beeilen. Ab 4Uhr liefern die Topfpflanzenzüchter an, sein Lkw muss aus der Halle raus. Der 49-Jährige nimmt ihn später mit nach Hause, während seine Frau den Verkauf schmeißt. "Um halb sechs öffnet der Bäcker, um sechs steht die erste Tochter auf." Perfekt getaktet. Das Geschäft mit dem Sommer ist nichts für Langschläfer.
Um 4.15 Uhr kommt Margret Leuchten. Unter dem Arm ein Körbchen mit Schoko-Bonbons und einen roten Karteikasten. Die Buchhaltung: Wer hat bestellt, wer noch nicht bezahlt. Großmarkt ist Vertrauen. Margret Leuchten weiß, wer was will und sortiert vor: Rosenbund für Rosenbund verschwindet Rot über Gelb über Orange in Bananenkisten. "Wenn man mal nicht auf dem Markt ist, das ist tödlich hier", sagt Jürgen Leuchten.
Leer wird der Stand trotzdem nur noch selten. Die Reste wandern in aller Pracht auf den Kompost. Der Sommer ist eine verderbliche Ware. Und inzwischen von Januar bis Dezember lieferbar. Aus Israel, Äthopien, dem kenianischen Hochland. Traumklima, Traumblüten. "Die Ware reist um den halben Globus und ist trotzdem noch billiger als unsere", sagt Jürgen Leuchten. Der Sommer ist globalisiert. Deutschland hat 2009 für 965 Millionen Euro Schnittblumen importiert. Hier fressen steigende Energiekosten immer mehr von dem, was Margret Leuchten nachts an der Ulmenstraße in die Registrierkasse steckt. "Man könnte mit schlimmeren Dingen arbeiten als mit Rosen", sagt sie. "Ich mag sie immer noch." Aber ihre Kinder sollen den Betrieb später nicht übernehmen. Lieber studieren.
Sein Stückchen Kenia hat heute auch der Leuchten-Hof. Gewächshäuser, 6500 Quadratmeter, beheizt auf 18 Grad. Peters Reich. Der 71-jährige Pole wandert jeden Vormittag unzählige Meter zwischen mannshohen grünen Rosenstöcken und unter Heizstäben entlang, die Schere in der Hand. Seit 25 Jahren. "Das ist liebe Arbeit", sagt der lächelnde Senior, einen Strauß dunkelroter Blüten im Arm. Rund sechs Wochen pflegt er die Rosen, vom Trieb bis zur aufgehenden Blüte. Dann knipst er sie ab. 25 bis 45 Cent ist die Blume dann noch wert - je nach Länge. Je nach Nachfrage.
Inzwischen ist es auf dem Großmarkt 5 Uhr durch; die meisten Blumen, die Peter geschnitten hat, liegen in Bananenkisten. Vor dem Blech-Pavillon des Snack-Express sind die Rollläden hochgezogen, auf der Kunstrasen-Terrasse sitzt man bei Kaffee, Kippe und Rühreistulle beisammen. Eine Frau hastet bei Leuchtens vorbei: "Hömma, ich stell die Kiste da hin." Margret Bodewein pflückt die letzten bunten Sträuße aus den Kübeln und legt sie säuberlich übereinander in den Karton. Die 51-jährige Floristin hatte 15 Jahre ihr eigenes Geschäft. Dann sparte man am Sommer. Die örtliche Sparkasse verzichtete auf den frischen Blumenschmuck. Discounter boten Sträuße für 1,99 Euro an. Jetzt arbeitet Bodewein selbst in der Blumenabteilung eines Supermarktes. "Die ersten anderthalb Jahre war ich unglücklich. Jetzt nicht mehr."
Für den Supermarkt kauft sie nicht mehr hier ein, sondern "an der Uhr". Auf großen Auktionen, bei denen eine Uhr herunterläuft; wer zuletzt das höchste Gebot abgegeben hat, erhält den Zuschlag. "Da gibt es nur Mengen, Massenprodukte", sagt Margret Bodewein. "Das Angebot hier ist vielfältiger, frischer. Deshalb habe ich diesen Markt so geliebt." Und sie wird immer noch um halb drei wach. Wie programmiert. Also hilft sie Margret Leuchten jetzt. Fast jeden Morgen.
Mit von Pflanzensaft und Rosendornen gezeichneten Fingern zupft Margret Bodewein ein paar braune Blätter von einer Nostalgie-Blüte, bevor sie den Bund in den Karton legt. Diese Rose trotzt als letzte noch auf Leuchtens Acker dem Herbst. Margret Bodewein mag die kleinen, braunen Flecken auf der weiß-roten Blüte vom Kampf gegen die Kälte. "Freilandrosen sind Liebhaberblumen." Jede Blüte ein Original, kein Massenprodukt. "Aber die Leute sind heute verwöhnt. Natur ist nicht jedermanns Sache."
6.40 Uhr. Jetzt verschwinden Schoko-Bonbons im Akkord aus dem Körbchen und Bananenkisten aus den Stahlregalen. "Heute wird nicht viel übrig bleiben", sagt Margret Leuchten zufrieden. Fast schon Feierabend. Eine der letzten Großmarkt-Nächte. Im Dezember werden die Gewächshäuser heruntergekühlt auf vier Grad, die Rosenstöcke halten Winterschlaf. Jürgen und Margret Leuchten fahren mit den fünf Kindern in den Skiurlaub. Sechs Wochen frei, dann fährt die Heizung wieder hoch. Neue Blüten wachsen. Und in Hamm wird wieder Nacht für Nacht um 2.30 Uhr der Wecker klingeln. Montag bis Samstag. Der Sommer ist ein hartes Geschäft. Fast das ganze Jahr über.