Düsseldorf Selbstverteidigung: Wenn der Angreifer zur Spielfigur wird

Frauen können sich bei Angriffen von Männern durchaus erfolgreich zur Wehr setzen. Aber wie gelingt das? Die WZ hat eine Schule für Selbstverteidigung besucht.

Mit der flachen Hand drückt Miriam Kleiner die Nase nach oben.

Foto: Sergej Lepke

Düsseldorf. Andreas Krause sinkt zu Boden. Wie eine Spielfigur wird er von der zierlichen 20-Jährigen über die Schulter geworfen. Krause griff sie von hinten an, ihren Körper fest mit den Armen umschlossen. Keine fünf Sekunden dauerte es, bis sie sich die Macht zurückeroberte: Indem sie ihren Hinterkopf gegen den des Angreifers warf, ihre Ferse in seinen Fußrücken rammte und schließlich den Spieß umdrehte: Sie fixierte seine Hände, ging in die Knie und warf den Angreifer über ihren Rücken zu Boden.

Miriam Kleiner konnte sich aus dem festen Griff von Andreas Krause lösen und wirft ihn über ihre Schulter zu Boden.

Foto: Sergej Lepke

Diese Szene ist kein Ernstfall, Andreas Krause kein echter Angreifer. Miriam Kleiner übt sich in Selbstverteidigung, Thomas Varakliotis ist ihr Lehrer. Nur wenige Meter von der Schule „Spartan Selfprotection“ entfernt, wurde vor wenigen Tagen eine 34-jährige Frau fast vergewaltigt. Sie schaffte es durch heftige Gegenwehr, den Täter in die Flucht zu schlagen. Die Regel ist das aber nicht: In den meisten Fällen sind Frauen ihren Angreifern hilflos ausgeliefert. In den Augen von Varakliotis muss das aber nicht sein: „Mit der richtigen Technik kann es eine 50-Kilo-Frau leicht mit einem 120-Kilo-Ringer aufnehmen“, sagt der mehrfache Deutsche Karatemeister und Personenschützer.

Allerdings dürfe man keine Wunder erwarten — einige Handgriffe beizubringen, sei leicht, an der Umsetzung im Ernstfall scheitere es dann aber. „In der Theorie ist es leicht, auf der Straße hast du damit keine Chance“, sagt er. „Du bist überrascht, nervös. Und damit bist du schon in der Opferrolle“, sagt er. „Es gehört mehr dazu, als nur eine Technik zu lernen. Du musst dich selbst kennenlernen, deine Psyche spielt eine entscheidende Rolle.“

Über einen langen Zeitraum hinweg müsse Selbstbewusstsein aufgebaut werden. „Wenn du weißt, dass du dich wehren kannst, hast du auch ein ganz anderes Auftreten. Dann wird ein Täter dich gar nicht erst als Opfer aussuchen“, sagt Varakliotis. Und: „Du lernst, deine Umgebung und Menschen in deiner Umgebung einzuschätzen. Dich wird niemand mehr überraschen können.“

Im Training geht es nicht nur um die Wiederholung von Techniken. Es geht um fließende Energien, um Kraftverlagerung, um An- und Entspannung des Körpers. An seiner heutigen Schülerin Miriam Kleiner demonstriert Varakliotis, wie sich der Körper nur durch Energieverlagerung verändert: Die junge Frau kniet vor ihrem Lehrer, ihr Po liegt auf ihren Fersen. Varakliotis nimmt sie bei den Schultern und wirft sie unvermittelt um. Beim zweiten Versuch bekommt sie allerdings klare Anweisungen: Miriam Kleiner soll sich gedanklich nach oben Richtung Zimmerdecke ziehen, ohne sich zu bewegen. Dann greift Varakliotis erneut an. Mit dem gleichen Krafteinsatz schafft er es dieses Mal nicht, die junge Frau umzustoßen. Miriam Kleiner: „Unglaublich, das hätte ich jetzt nicht gedacht.“

Laut Varakliotis benötige es monatelanges, regelmäßiges Training, um Psyche und Körper in die Lage zu versetzen, bei Angriffen effektiv und entschlossen zu handeln. „Die Technik funktioniert dann wie ein Reflex, du reagierst ohne nachzudenken.“

Bevor es aber so weit ist, gibt Varakliotis einige Tipps, wie jede Frau ihren Angreifer abwehren kann. In erster Linie gilt: Ellbogen, Handballen, Knie und Kopf können von jeder Frau als Waffe eingesetzt werden. Ein Schlag mit der Handkante gegen den Hals in Höhe des Adamsapfels kann den Angreifer außer Gefecht setzen. Das gilt auch für einen gezielten Daumendruck in die Mulde hinter dem Ohrläppchen. „Außerdem kann das Opfer die Kontrolle in einem Gerangel zurückgewinnen, wenn es mit dem Handballen an der Nasenwurzel oberhalb der Lippe ansetzt und nach oben drückt“, erklärt Varakliotis.

Ein Schlag mit den flachen Händen gegen die Ohren des Täters bringe ihn ebenso ins Wanken. „Effektiv ist es auch, beide Daumen gleichzeitig in die Augäpfel des Angreifers zu drücken“, weiß Varakliotis. Eine empfindliche Stelle sei zudem das Schlüsselbein: „Schafft es das Opfer, mit zwei Fingern hinter das Schlüsselbein zu greifen und es zu sich zu ziehen, hat der Angreifer keine Chance. Während er zu Boden taumelt, hat die Frau die Möglichkeit wegzulaufen.“