Düsseldorfer Universitätskinderklinik „Seltene Erkrankungen sind häufig“

Selten ist eine Krankheit, wenn weniger als fünf von 10 000 Menschen sie haben — aber es gibt tausende solcher Erkrankungen. Ein neues Zentrum in Düsseldorf hilft Patienten.

Düsseldorfer Universitätskinderklinik: „Seltene Erkrankungen sind häufig“
Foto: dpa

Düsseldorf. Im TV schauen Millionen zu, wenn „Dr. House“ sich über einen Patienten mit völlig abgefahrenen Symptomen beugt, am Ende stets ein medizinisches Rätsel der Kategorie „Eigentlich unlösbar“ knackt — und dabei eine Krankheit herausfindet, die noch weniger von dieser Welt zu sein scheint als das gigantische Fachwissen des zynischen Fernsehmediziners. Gute Unterhaltung für ein Massenpublikum. Was die wenigsten ahnen dürften: Der Hintergrund der Erfolgsserie ist ein ernster. Denn: „Eigentlich sind seltene Erkrankungen sehr häufig — in ihrer Gesamtheit“, sagt Prof. Dr. Ertan Mayatepek von der Düsseldorfer Universitätskinderklinik. Etwa vier Millionen Deutsche leiden unter ihnen. In der NRW-Landeshauptstadt wurde daher ein eigenes Zentrum für Seltene Erkrankungen gegründet.

Düsseldorfer Universitätskinderklinik: „Seltene Erkrankungen sind häufig“
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Selten ist eine Krankheit der Definition nach, wenn weniger als fünf von 10 000 Menschen sie haben. Dass es trotzdem so viele Betroffene gibt, liegt daran, dass es schätzungsweise 7000 bis 8000 verschiedene seltene Erkrankungen gibt — und es werden immer wieder neue entdeckt. In der gesamten Europäischen Union soll es rund 30 Millionen Menschen mit solchen Krankheiten geben. Und: „Es ist eine hohe Dunkelziffer dabei“, erklärt Mayatepek. Schließlich müssen sie auch erkannt werden — ganz real und ohne Dr. House.

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Der Düsseldorfer Professor weiß aus seiner langjährigen Praxis, dass das nicht einfach ist. Oft verlaufen die exotischen Erkrankungen sehr schwer, trotzdem dauert es lange, bis sie diagnostiziert werden. „Für den Einzelnen können das viele, viele Jahre sein.“ Und das ist für die Patienten nicht nur sehr belastend — sondern unter Umständen lebensbedrohlich.

80 Prozent der seltenen Krankheiten haben genetische Ursachen. Das heißt: Oft zeigen sie sich schon bei Kindern. Ein Beispiel ist die Tyrosinämie Typ I, eine Störung im Stoffwechsel der Aminosäure Tyrosin. Bei der akuten Form sind schon Säuglinge schwerkrank, erbrechen sich stark, unterzuckern, die Leber versagt. Die Krankheit kann aber auch chronisch verlaufen und lange unentdeckt bleiben. Der Kinderarzt entdeckt erst nur eine vergrößerte Leber — ein Symptom für unzählige Krankheitsbilder. Das Problem: Die Folge der seltenen Krankheit ist eine Leberzirrhose, wie sie bei schweren Alkoholikern vorkommt. Nur eben schon im Kindesalter. Dabei gibt es inzwischen sogar eine Therapie: Die kleinen Patienten müssen ein spezielles Medikament zwei Mal am Tag einnehmen, eine strenge spezifische Diät halten — und können damit quasi normal leben. Mayatepek: „Das ist ein großer Durchbruch. Früher waren diese Kinder dem Tod geweiht.“ Zumindest ohne die Transplantation einer Leber.

Inzwischen sind die Patientenzahlen bei der Tyrosinämie Typ I an der Düsseldorfer Uni-Klinik zweistellig. Im Feld der seltenen Erkrankungen geradezu eine Flut von Fällen. Die große Expertise der Mediziner sorgt auch für eine immer größere Bekanntheit des Problems. Mayatepek hofft, dass die Stoffwechselstörung auch in die Untersuchung von Neugeborenen aufgenommen und dann immer abgeprüft wird. Ein Stand, von dem man bei vielen anderen Krankheitsbildern noch Lichtjahre entfernt ist.

Das Düsseldorfer Zentrum bündelt daher als Lotse das Wissen von derzeit zwölf unterschiedlichen Fachabteilungen. „Es gibt nicht den einen Spezialisten“, sagt der Professor mit Blick auf die TV-Serie. Aber die Ärzte und Wissenschaftler seien „Dr. House auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet“. Im Zentrum — rund 30 gibt es in der ganzen Republik — wird geprüft, ob eine Krankheit für einen von ihnen ein Fall sein könnte. „Diese Zentren sind dafür da, die Zeit bis zur Diagnose zu verkürzen“, erklärt Mayatepek. Eine Beratungsleistung, die die Klinik nicht vergütet bekommt.

Ziel ist es aber nicht nur, dem konkreten Patienten zu helfen, sondern auch mehr über die Krankheiten zu erfahren und Behandlungsmethoden zu entwickeln. Die Pharmaindustrie, erklärt der Professor, hat daran naturgemäß eher nachrangiges Interesse, ist doch die potenzielle Kundenzahl sehr klein. Wobei auch das nicht gesagt ist.

Ertan Mayatepek erinnert sich noch, wie er seinerzeit an der Diagnostik des weltweit zweiten Patienten mit GAMT-Mangel beteiligt war. Es handelt sich um eine Störung, bei der im Gehirn zu wenig Kreatin vorhanden ist — mit der Folge von geistiger Behinderung, Epilepsie, Verhaltensauffälligkeiten. Auch der Düsseldorfer Professor und seine Kollegen waren auf die Untersuchung nur gekommen, weil er vom ersten Fall der Welt gelesen hatte. „Inzwischen sind mehr als 300 Fälle von Kreatinmangelsyndromen bekannt.“

Welches die seltenste Krankheit der Welt ist, kann er deshalb auch nicht sagen: Das ändert sich andauernd. Mayatepek: „Man findet nur das, was man auch kennt.“ Mehr zu kennen — das ist also das Ziel der Düsseldorfer Forscher im neuen Zentrum. „Manchmal wird es da schon sehr detektivisch.“ Also doch wie beim berühmten TV-Arzt. Nur eben ganz real.