Düsseldorf Stadtteil-Dialog: Rechtsfreie Räume in der Altstadt?
Beim Stadtteil-Dialog mit OB Thomas Geisel sprachen Altstädter Probleme an: Es gibt Angst vor der Gewalt.
Düsseldorf. Nach Jahreswechsel und Karnevalspause hat Oberbürgermeister Thomas Geisel seine Stadtteil-Dialoge wieder aufgenommen. In der Altstadt. Das Viertel steht ohnehin in der Diskussion - ständig. Moderatorin und Ex-Venetia Claudia Monreal („In jungen Jahren war die Altstadt mein Wohnzimmer“) hatte nicht viel zu moderieren. Die Altstädter hatten das Wort, ergriffen es engagiert und behielten es auch.
„Ist ja beinahe ein Heimspiel für mich“, wollte Geisel mit Bezug auf seinen Arbeitsplatz im Rathaus einstimmen, doch da meldete sich gleich „die Dame in dem blauen Pulli“: Ob er denn auch mal nachts in der Altstadt sei? Als „kreuzbraver Familienvater eher nicht, räumte der OB ein, aber im Wahlkampf hätte er sich als Praktikant in der Altstadt-Wache mal eine Samstagnacht von 21 Uhr bis 6 Uhr morgens um die Ohren geschlagen: „Eine Erfahrung, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ab 1.30 Uhr war Anarchie in der Altstadt.“ Die Polizei mache dort einen bewundernswerten Job. Allein in dieser Nacht seien die Zellen dreimal umgeschlagen worden, das bedeutete 21 Festnahmen. Geisel: „Wir sind zwar die längste Theke der Welt, aber die Hauptstadt des Sauftourismus wollen wir nicht sein.“
Das leidige Thema Büdchen in der Altstadt. Ein Mieter in einem Haus mit Kiosk: „Die verkaufen Bier für 1 Euro pro Glasflasche bis 3 Uhr nachts.“
Einhelliger Wunsch der Versammlung von knapp hundert Dialog-Partnern im Lambertus-Haus: den Alkoholverkauf aus einem guten Dutzend Büdchen einzuschränken, wenn man ihn nicht schon nicht ganz untersagen könne.
Da sei die rechtliche Prüfung sehr schwierig, erklärt Jurist Geisel. Nachgewiesen werden müsse der Zusammenhang Altstadt-Randale mit Kiosk-Konsum - wovon der Großteil der Altstädter offensichtlich schon längst überzeugt sein dürfte.
Isa Fiedler, Vorsitzende der Altstadt-Gemeinschaft, plädiert für „mehr Licht“ in der Altstadt und weist hin auf Hamburger Erfahrungen mit der Initiative „St. Pauli pinkelt zurück“ mittels speziellen Fassadenanstrichen gegen Wildpinkler. Antwort des Stadtoberhaupts: „Meine Verwaltung ist davon noch nicht überzeugt. Aber vielleicht haben die das auch noch nicht selbst getestet.“
Altstadt-Anwohner berichteten, dass sie an Wochenenden nicht nur vor der eigenen Tür kehren, sondern viel Ekliges entfernen müssen und unangenehme Überraschungen erleben: „Mein Kind macht die Tür auf, da liegt jemand.“ Licht und Kameras können hier zumindest eines bringen: „Kommunikation drum herum“, verbunden mit der Hoffnung, die Schamgrenze heraufzusetzen. Geisel bringt’s auf den Nenner: soziale Kontrolle.
Doch gerade die finde so gut wie nicht mehr statt in der Altstadt, so die überwiegende Erfahrung der Anwesenden. Es herrsche an den Wochenenden Anarchie, besonders an drei Punkten sei quasi rechtsfreie Zone: Grabbeplatz, Lieferplatz, Treppe am Schlossturm. Soziale Kontrolle? Ein älterer Altstädter: „Ich mische mich nicht mehr ein, mir hat man zu oft Prügel angedroht.“
Ein kräftiger Anwohner der Ratinger Straße: „Ich als erwachsener Mann habe Angst, da durchzugehen.“ Ein älterer Altstädter berichtete, dass ihm ein Mann vom Ordnungsamt auf seine Bitte, ihn des Nachts ein Stück zu begleiten, geantwortet hätte: „Um diese Zeit haben Sie in ihrem Alter hier nichts mehr verloren.“ Angst hätten inzwischen auch Leute vom Ordnungsamt selbst - ja, sogar einzelne Polizisten, wird berichtet. Vor wem? Vor denen „die keine Angst vor Strafe haben.“
Eine Anwohnerin des Burgplatzes ist genervt von der nächtlichen Randale am Taxistand, den sie gern woanders sähe: „Die Taxi-Fahrer schlagen sich sogar untereinander.“ Rechtsfreier Raum an der Mühlenstraße? Geisel: „Das ist auch Thema bei der Verwaltung. Doch wir haben noch keine Lösung.“ Was Bewohner wohl am meisten nervt, ist der immer wieder gegebene Rat: „Dann ziehen sie doch weg.“ Aber das wollen die, die noch wohnen und leben in der Altstadt gar nicht. Ein Anwohner vom Stiftsplatz: „Wir sind hier hineingeboren, wir lieben unseren Kiez“.
Und das mit der längsten Theke möchte Ur-Altstädter Raimund Salm vom gleichnamigen Bestattungsinstitut in der Andreasstraße am liebsten streichen und mahnt: „Die Gastronomie ist nur ein Drittel, wir haben auch noch ein Drittel Einzelhandel und ein Drittel Kultur in der Altstadt.“ Aber das eine Drittel drückt offenbar so sehr auf die Gemüter, dass die anderen beiden so gut wie gar nicht angesprochen werden an diesem Abend.