Düsseldorf Wehrhahn: Das Attentat und die Folgen

Der jetzt wohl aufgeklärte Anschlag am Wehrhahn hat tiefe Wunden hinterlassen. Aber er hat auch die Gesellschaft verändert.

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Düsseldorf. Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass der Bombenanschlag am S-Bahnhof Wehrhahn nach 17 Jahren noch aufgeklärt wird. Umso überraschender kam die Nachricht, dass Ralf S. (50) als Tatverdächtiger in Untersuchungshaft sitzt. Erleichterung über die Festnahme herrscht bei der Jüdischen Gemeinde, denn sechs der zehn Anschlagsopfer waren Juden. Doch andere Wunden werden niemals heilen, auch wenn Ralf S. tatsächlich verurteilt werden sollte.

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Wie Michael Szentei-Heise, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, erklärte, habe man noch am Mittwochabend in einer Gemeindeversammlung über die neue Entwicklung gesprochen: „Es herrscht vorsichtiger Optimismus, dass der Täter jetzt doch noch zur Verantwortung gezogen werden kann.“ Insgesamt gebe es ein „positives Gefühl“.

Opfer Was die zehn Opfer empfinden, kann Szentei-Heise nur vermuten, denn man habe den Kontakt inzwischen längst verloren. Am längsten betreut hatte die Jüdische Gemeinde Tatjana und Michael L., die damals 26 und 28 Jahre alt waren. Sie verloren ihr ungeborenes Kind durch einen Granatsplitter: „Das Ehepaar hat sich dann getrennt. Zunächst ist der Mann aus Düsseldorf weggezogen. Und dann auch die Frau.“

Die anderen Opfer seien vor allem aus dem Raum Solingen und Wuppertal gekommen. Zum Teil werden sie dort bis heute von den Jüdischen Gemeinden betreut.

Doch neben all dem Leid hat das Attentat auch etwas Positives bewirkt: Es hat die Düsseldorfer Gesellschaft wach gerüttelt. Ein Effekt, der bis heute nachwirkt.

Gedenken Denn die Tat im Jahr 2000 schockiert viele Düsseldorfer. Nachdem die Polizei den Tatort wieder freigegeben hat, legen Bürger spontan Blumen und Kerzen nieder. Auch Transparente werden abgelegt, darauf ist zu lesen: „Ich schäme mich“ und „Unser Beileid für das ungeborene Baby“.

Demo Zehn Tage nach dem Bombenanschlag demonstrieren rund 2000 Menschen gegen rechtsextreme Gewalt. Vor allem Gruppen aus dem linken Spektrum haben zu der Demo aufgerufen. Der Zug stoppt am Tatort, wo die Teilnehmer eine Schweigeminute einlegen. Ein Grußwort kommt vom Schriftsteller Ralph Giordano, der kritisiert, dass Gewalttaten gegen Fremde selbstverständlich geworden seien.

Appell Die Schockwelle reicht weit hinein in die Düsseldorfer Gesellschaft. Das merkt auch der Düsseldorfer Appell: Das 1991 gegründete Bündnis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verzeichnet nach dem Anschlag ein starkes Interesse: Das Telefon klingelt in einer Woche so häufig wie sonst nicht im ganzen Jahr. Geschäftsführer Volker Neupert weiß, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit schnell abebbt. Aber er lässt nicht locker. Zu einer ersten von ihm organisierten Demo gegen rechte Gewalt im Oktober 2000 kommen 100 Teilnehmer.

Debatte Es ist der Auftakt einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Debatte. Ein Jahr nach dem Attentat bilanziert ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur: „Der Anschlag rüttelt viele Menschen in Deutschland auf: Obwohl die Bombenleger und ihr Motiv unbekannt sind, wird der Ruf nach einem schärferen Vorgehen gegen Rechts bis hin zu einem NPD-Verbot laut. Aber auch für viele Neonazis ist die Explosion von Düsseldorf ein Fanal: Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten steigt in den Tagen danach bundesweit sprunghaft an. Jüdische Kinder in Düsseldorf erhalten Religionsunterricht fortan unter Polizeischutz.“

Netzwerk Auch unter dem Eindruck dieser Debatte bildet sich 2001 — unter Federführung des Düsseldorfer Appells — das Netzwerk „Respekt und Mut“. Rund 60 Kooperationspartner, darunter Kirchen, Sportvereine wie Fortuna, Kulturorganisationen und Migrantenvereine machen mit.

NSU-Verdacht Obwohl jahrelang unklar bleibt, ob die Tat am Wehrhahn wirklich einen rechtsextremen Hintergrund hat, rückt diese Frage im Jahr 2011 neu in den Fokus. Grund ist die inzwischen aufgedeckte NSU-Mordserie. Düsseldorfer Ermittler prüfen u.a. in Thüringen, ob auch der Anschlag vom Wehrhahn zu dieser Serie gehören könnte. Am Ende gibt es keinen Beleg für einen Zusammenhang, trotzdem wirkt allein der Verdacht: NRW-Innenminister Jäger etwa kündigt an, dass in NRW alle ungeklärten Fälle, die einen rechtsextremistischen Hintergrund haben könnten, neu aufgerollt werden. Den Anschlag vom Wehrhahn nennt er explizit.

Anti-Dügida Dass die Statements gegen Rechts nicht nur Lippenbekenntnisse sind, zeigen die Aktionen gegen Dügida 2014/2015. Nicht zuletzt das Netzwerk „Respekt und Mut“ koordiniert Aktionen gegen den Pegida-Ableger, als dieser regelmäßige Demos in der Düsseldorfer Innenstadt durchführt. Nach einigen Monaten ist der Spuk vorbei — nicht nur, aber auch weil sich ein breites gesellschaftliches Bündnis dem entgegen gestellt hat.

Licht ins Dunkel Das Bündnis „Düsseldorf stellt sich quer“, das an vorderster Front gegen Dügida mobil gemacht hat, beklagt nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters, dass sich die Ermittler immer noch zu wenig auf die rechte Szene fokussieren. „Wie beim NSU wird versucht, neonazistische Strukturen auf einige wenige herunterzubrechen“, meint Antifa-Sprecher Thomas Bose, „dabei existierte mindestens ein Unterstützer-Umfeld“.

Das Bündnis bittet am Freitag, 17.30 Uhr, zu einer Aktion am Anschlagsort. Die Teilnehmer sollen Taschenlampen mitbringen, um symbolisch Licht ins Dunkel zu bringen.