Wende im Wehrhahn-Prozess: Kein dringender Tatverdacht mehr
Das Landgericht hält die Aussagen der Zeugen für „nicht hinreichend belastbar“. Angeklagter ist auf freiem Fuß.
Am Montag hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung Gelegenheit, im Prozess um den Bombenanschlag Am Wehrhahn vor dem Landgericht Bilanz zu ziehen. Zwei Stunden lang legte sich Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück leidenschaftlich ins Zeug, um zu beweisen, dass Ralf S. die Bombe gebastelt und versteckt hatte, mit der 15 Menschen getötet werden sollten. Die Verteidigung des Angeklagten fasste sich vergleichsweise kurz. Danach kündigte die Kammer an, dass man sich bis zum 28. Mai Zeit nehmen wolle, um zu einer Entscheidung zu kommen. Die fiel dann deutlich schneller als angenommen. Gestern Vormittag wurde Ralf S. aus der Untersuchungshaft entlassen, weil kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Die Aussagen der Zeugen seien „nicht hinreichend belastbar“, erklärte das Landgericht.
Dabei hatte die Verteidigung nicht einmal beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. „Für uns kam das völlig überraschend“, so Rechtsanwältin Hülya Karaman,, „das ist ein Etappensieg, aber wir haben den Krieg noch nicht gewonnen.“ Für ihren Mandanten kam die Entlassung ebenfalls völlig unvorbereitet. Der 51-Jährige ist zunächst bei Freunden untergekommen.
Die Staatsanwaltschaft hat die Möglichkeit, gegen die Entscheidung Beschwerde einzulegen. Ralf Herrenbrück: „Wir werden den Beschluss über die Pfingsttage prüfen.“ Sollte die Staatsanwalt Einspruch einlegen, muss das Oberlandesgericht prüfen, ob es richtig war, den Haftbefehl aufzuheben. Das ist zuletzt im Rotlicht-Verfahren um die Bordelle an der Rethelstraße geschehen, als der Hauptangeklagte Thomas M. auf Beschluss der höheren Instanz wieder in die Untersuchungshaft geschickt wurde.
Von vornherein war klar, dass es schwierig werden würde, das schreckliche Verbrechen aufzuklären. Dass Zeugen nach 18 Jahren Erinnerungslücken haben, ist nicht verwunderlich. „Hinzu kamen erhebliche Widersprüche. Viele Aussagen stimmten nicht mit dem überein, was in den Polizeiakten stand. Dass Ralf S. bei der Bundeswehr so umfangreiche Kenntnisse im Umgang mit Sprengstoff erworben hatte, dass er eine mit TNT gefüllte Rohrbombe bauen konnte, ließ sich nicht beweisen.
Ein Beispiel, warum die Kammer Zweifel hat, war die Aussage einer Frau. Die hatte aus dem vierten Stock beobachtet, dass ein Mann in der Nähe des Tatortes auf einem Stromkasten saß. Der war nach der Explosion aufgestanden und weggegangen, anstatt die Polizei zu rufen. Das Gericht geht davon aus, dass es sich bei der Person vermutlich um den Attentäter handelt. Aber dass es der Angeklagte war, ließ sich am Ende nicht beweisen.
Ähnlich verhielt es sich mit den Angaben der verschiedenen Lebensgefährtinnen des 51-Jährigen. Die redeten viel, mussten sich aber oft auch nach Fragen der Verteidigung wieder korrigieren. Dass eine Dame sich nach 18 Jahren plötzlich wieder daran erinnerte, dass sie die Bombe damals in einer dunklen Ecke gesehen hatte, wirkte wenig überzeugend.
Hinzu kam die Persönlichkeit des Angeklagten. Ralf S. ließ in dem Prozess keine Gelegenheit aus, um mit seinen Frauengeschichten zu prahlen. Auch andere Zeugen berichteten von der permanenten Geltungssucht des Mannes, der im Leben immer wieder gescheitert ist, offenbar Probleme hat, Wahrheit und Wirklichkeit auseinanderzuhalten.
Dass der 51-Jährige latent ausländerfeindlich ist und enge Kontakte zur rechtsradikalen Szene hat, sagt etwas aus zur Person. Aber nichts darüber, dass er tatsächlich die Bombe gelegt hat. Ob Ralf S. am Ende freigesprochen wird, ist damit noch nicht entschieden, aber sehr wahrscheinlich. Am 5. Juni geht der Prozess weiter. Ein Ende ist bisher noch nicht abzusehen.