Stunde Null „Widerstand von gestern ist Auftrag für morgen“
Heute vor 70 Jahren opferten Theodor Andresen und vier weitere Männer ihr Leben, um Düsseldorf vor weiterer Zerstörung zu bewahren. Wir sprachen mit seiner Enkelin.
Düsseldorf. Die Geschichte lässt Jeanne Andresen nicht in Ruhe: Zum 70. Todestag ihres Großvaters — der einen Tag vor dem Kriegsende in Düsseldorf von den Nazis hingerichtet wurde — hat sie mit Freunden eine Musik-CD herausgebracht.
Bekannte Bands haben Musikstücke beigesteuert, die sich um die „Aktion Rheinland“ drehen. So hieß die Gruppe der sieben Männer, die vor 70 Jahren die kampflose Übergabe der Stadt an die US-Truppen organisierten. Ihr Großvater und vier weitere Männer wurden dafür von den Nazis noch hingerichtet. Die CD ist diese Woche in einer Auflage von 14 000 Exemplaren an alle Düsseldorfer Schulen verteilt worden.
Frau Andresen, an diesem Donnerstag findet im Franz-Jürgens-Berufskolleg die traditionelle Gedenkveranstaltung statt. Auch Ihr Vater wird dort reden. Was bedeutet dieses Gedenken für die Familie Andresen?
Jeanne Andresen: Das ist uns sehr wichtig, weil die Stadt so die Erinnerung an unseren Vater und Großvater wach hält.
Wie wächst man in eine solche Familiengeschichte hinein?
Andresen: Ein Satz über mein Großvater war mir von Anfang an präsent: ,Den haben die Nazis erschossen’. Als kleines Kind war das für mich etwas abstraktes Böses. Als ich elf oder zwölf war, habe ich mich konkret mit der Geschichte befasst. Ich habe im Stadtarchiv recherchiert und auch ein Referat in der Schule gehalten. Damals habe ich verstanden, wie hochspannend, dramatisch und grausam diese Geschichte war.
In Ihrer Familie wurde nicht darüber gesprochen?
Andresen: Wenig. Mein Vater war ja erst vier Jahre alt, als das passiert ist. Er hat nur nebulöse Erinnerungen an seinen Vater. Und meine Großmutter hat bis zu ihrem Tod im Jahre 2000 nie darüber geredet.
Haben Sie sie nie gefragt?
Andresen: Nein, das war nie ein Thema. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie das nicht wollte. Das wenige, was wir wissen, wissen wir von meiner Tante. Die älteste Schwester von meinem Vater war damals 17. Sie hatte wohl ein recht enges Verhältnis zu meinem Großvater, hat ihm auch auf den Baustellen geholfen.
Auf den Baustellen?
Andresen: Ja, mein Großvater war Tiefbauunternehmer. Als gelernter Maurer hatte er ein eigenes Geschäft gegründet in Gerresheim. Darüber kam wohl auch der Kontakt zu Architekt Aloys Odenthal zustande. 1943 war mein Opa mit einem schweren Magenleiden von der Front zurück gekommen. Zu dieser Zeit war ihm wohl schon klar, dass der Krieg verloren geht.
War das der Grund, weshalb er sich der Aktion Rheinland anschloss?
Andresen: Von seiner Mitgliedschaft in der Gruppe wissen wir fast nichts. War er längere Zeit dabei? War seine Tat ein mehr oder weniger spontaner Entschluss? Ich frage mich selbst, warum so wenig darüber gesprochen wurde.
Die Familie war ahnungslos?
Andresen: Ja. Am Morgen des 16. April 1945 haben die Eltern zusammen mit ihren vier Kindern gefrühstückt. Die älteste Tochter kam mit der Brötchentüte vom Bäcker und brachte die Nachricht, dass die Amerikaner schon bei Erkrath stünden. Da sagte er: „Jetzt wird es Zeit, jetzt muss ich gehen.“ Die Familie dachte, er geht zum Finanzamt oder zur Bank, weil er noch einen großen Bargeldbetrag einsteckte. Sie haben erst anderntags erfahren, was passiert ist.
Wo ist er denn hingefahren?
Andresen: Erst zu Odenthal, dann zum Rechtsanwalt Karl August Wiedenhofen, dann zum Polizeipräsidium. Die Männer wussten, was sie taten. Geholfen hat ihnen Franz Jürgens, der Kommandeur der Schutzpolizei. Er stellte einen Wagen mit Fahrer und einen Passierschein bereit. Damit sind Wiedenhofen und Odenthal zu den Amerikanern, um die kampflose Übergabe der Stadt anzubieten — was auch geklappt hat. Die anderen sind zu Polizeipräsident August Korreng ins Büro und haben ihn mit vorgehaltener Waffe in eine Zelle gesperrt. Leider haben sie versäumt, die Telefonzentrale zu besetzen. Von dort aus hat ein Regimetreuer die Gauleitung verständigt.
Ihr Großvater und die anderen vier Männer wurden verhaftet und hingerichtet . . .
Andresen: . . . und vor der Hinrichtung haben sie meinem Großvater noch den Schädel eingeschlagen. Pure Rache, weil sich die Männer aufgelehnt hatten.
Ist je einer der Täter zur Rechenschaft gezogen worden?
Andresen: Nein. Alle, die an den Urteilen und den Hinrichtungen beteiligt waren, sind auf freiem Fuß geblieben. Einige haben sich allerdings nach Kriegsende das Leben genommen.
Jetzt soll eine Musik-CD jungen Menschen diese Geschichte näher bringen. Ist das Experiment geglückt?
Andresen: Auf jeden Fall. Was die Bands abgeliefert haben, ist ganz toll. Bei ein paar Songs muss ich schlucken, wenn ich sie höre. Dabei geht es um die Haltung, die dahinter steht — und die auch heute noch wichtig ist, etwa um fremdenfeindlichen Tendenzen etwas entgegen zu setzen. Der Widerstand von gestern ist der Auftrag für morgen.