So ist die Gruseltour durch Neuss Eine Stadtführung mit Gruselfaktor
Neuss · Von Hexen, dem Fetzer und fiesen Foltermethoden: Neuss Marketing bietet eine Stadtführung an, bei der das Schaudern im Vordergrund steht. Wie gruselig ist sie wirklich? Ein Besuch.
Susanne Lüpertz sieht auf den ersten Blick so gar nicht grauslich aus, wie sie in ihrem mittelalterlichen Woll-Gewand in Weiß-, Schwarz- und Safran-Farben mit der Laterne in der Hand vor dem Obertor wartet und leise lächelnd die Besucher empfängt. Auf dem Rücken trägt sie eine schwere Kiepe aus Weidenholz, auf dem Kopf ein weißes Tuch, wie es mittelalterliche Frauen trugen. „Heben Sie mal hoch“, bittet sie eine Besucherin, „was glauben Sie, wie viel die Kiepe wiegt?“ „Hmm, so zehn Kilo?“ vermutet die Gefragte. Sicherlich sind es ein paar mehr, eine Antwort erhält sie nicht. Stattdessen schlägt Lüpertz, die „Isidora, die Zeitreisende“ genannt werden möchte, vor, schnell durch das Obertor hindurch in die Stadt zu schreiten, „weil man innerhalb der Stadtmauern sicher ist.“
Die rund 20 Interessierten folgen der Tochter des bekannten und beliebten Stadtführers Rolf Lüpertz gerne. Manche freuen sich richtig, dass sie endlich einen Platz bekommen haben, denn Lüpertz‘ Gruselführungen sind schnell ausgebucht. Zum fünften Mal steht die im echten Leben als Controllerin arbeitende Mittelalter-Expertin als „weiße Frau“ vor dem Obertor. Innerhalb der ehemaligen Stadtmauern trägt sie erst einmal ein Schauer-Gedicht vom Tod vor.
Sie berichtet von der Belagerung der Stadt durch Karl den Kühnen 1474 und die Art, wie sich die Frauen damals gegen die Angreifer verteidigten. Der Tod begleitet die Führung die ganze Zeit über und findet sich in allen Texten, die Lüpertz meisterhaft auswendig gelernt hat. Vom Obertor geht es zum Windmühlturm an der Promenade, wo der Räuber Matthias Weber, genannt „der Fetzer“, im 18. Jahrhundert gefangen war. Ihm gelang allerdings eine spektakuläre Flucht über die Flügel und einen Sprung in sieben Meter Tiefe.
Kopf eines Kriminellen war
für die Kriminalistik bestimmt
Durch einen frühen „Profiler“, erzählt Lüpertz, konnte er aber schließlich doch gefasst und auf der Guillotine hingerichtet werden. Der Kopf sollte als Anschauungsmaterial für die damalige Kriminalistik dienen, wurde aber angeblich nie gefunden, oder vielleicht doch? Weiter geht es zum Blutturm, in dem die letzte sogenannte Hexe Hester Jonas gefoltert wurde. Isidora, die Zeitreisende, trägt aus Macbeth die Beschwörung der drei Hexen vor und erklärt, welchen schweren Stand nicht-geistliche Frauen über 300 Jahre lang nach Erscheinen des „Hexenhammers“ in der Gesellschaft hatten. Wollten sie einem Mann nicht zu Willen sein, konnte der sie zur Hexe erklären. Waren sie kräuterkundig, ebenso.
So führt die Tour weiter über die Klarissenstraße mit ihrem alten Kopfsteinpflaster, wo Isidora von den vielen Klöstern berichtet, die an dieser Stelle gestanden haben. „Was aber kaum einer weiß: als die Klöster zusammengelegt wurden, mussten auch die Gebeine irgendwohin. Und hier, unter diesen Steinen, unter den alten Kellern, liegen die Gebeine verstorbener Nonnen und Mönche.“
Schlusspunkt der Führung ist das Quirinus-Münster, wo Lüpertz in aller Ausführlichkeit die schlimmsten Foltermethoden schildert und darauf hinweist, dass die Gefangenen, die auf dem Münsterplatz ankamen, zum Tode verurteilt waren: „Die Reichen wurden zum Schafott rechtsherum Richtung Bahnhof geführt, das war der angenehmere, weil schnelle Tod. Die Armen mussten links die Straße nehmen, da ging es zum Galgenberg. Der Tod war oft langsam und schmerzhaft.“
Hochinteressant finden die Besucher diese außergewöhnliche Stadtführung: „Die ganze Atmosphäre, die Art und Weise, wie sie es macht, auch mit den Gedichten. Ich kann mir nicht mal einen Einkaufszettel merken“, sagt eine Frau lachend.