Interview Handwerk: Wer Fachkräfte will, soll ausbilden

Paul Neukirchen benennt als Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Stärken und Schwächen des Handwerks.

Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Paul Neukirchen ist schon ziemlich lange an Bord bei der Kreishandwerkerschaft Krefeld/Viersen/Neuss. Seit 1980, um es genau zu sagen. Selten war die Stimmung bei den mehr als 3000 Betrieben mit ihren 21 000 Beschäftigten in Krefeld so gut wie im Mai 2016. Das Konjunkturbarometer klettert auf Rekordhöhe, die Handwerker schauen mit Optimismus nach vorn. Neukirchen freut das.

Aber er sagt auch deutlich, was Politik und Branche besser machen müssen. Im WZ-Interview spricht der 62-Jährige über Krefelds Rolle in der Region, den gesellschaftlichen Akademisierungswahn, Flüchtlinge und die Schwierigkeit, in Gymnasien fürs Handwerk werben zu dürfen.

Herr Neukirchen, Krefeld nimmt in Ihrer Kreishandwerkerschaft eine Sonderrolle ein. Warum?

Paul Neukirchen: Weil Krefeld den Kreisen Viersen und Neuss in den Umfragen zur Konjunktur im Handwerk traditionell hinterherhinkt. Krefeld passt von der Struktur im Vergleich eher zum Ruhrgebiet. Ein Beispiel dafür sind die Arbeitslosenzahlen. Da liegt Krefeld mit 8,6 Prozent weit vor Viersen mit sieben und dem Rhein-Kreis Neuss mit 5,9 Prozent. Umso wertvoller ist der aktuell spürbare Optimismus. 42 Prozent aller Handwerksunternehmen in Krefeld erwarten eine positive Geschäftsentwicklung. Im Kreis Viersen sind es aktuell gerade die Hälfte. Und selbst beim Geschäftsklimaindex ist man mittlerweile mit dem Rhein-Kreis Neuss gleichauf, das gab es noch nie.

Woher kommt diese Stimmung?

Neukirchen: Nun, zum einen hat Krefeld sicher Nachholbedarf. Zweitens spielen die Zinsen eine wichtige Rolle.

Heißt salopp gesprochen, die Handwerker sind allesamt Draghi-Fans?

Neukirchen: Sagen wir es so: Vieles hängt am Baubereich, und die Zinsen, das ist ja deutlich, werden in absehbarer Zeit nicht steigen. Die Nachfrage nach Neubauten, Sanierungen und insbesondere energetischen Erneuerungen ist ungebrochen hoch. All das zusammen lässt unsere Betriebe zuversichtlich in die Zukunft schauen.

Wenngleich es nach wie vor strukturelle Sorgen gibt. Stichwort: Fachkräftemangel.

Neukirchen: Das stimmt. Viele Betriebe leiden darunter, dass sie zu wenig gut ausgebildetes Personal bekommen. Das ist in den Branchen und Regionen unterschiedlich ausgeprägt. Und was Schulabgänger mitbringen, reicht heute oft nicht aus. Es hapert an grundlegenden Dingen.

Zum Beispiel?

Neukirchen: In erster Linie, je nach Schulform, am erreichten Bildungsniveau. Mathematik, Physik, Chemie, die Anforderungen in vielen Berufen des Handwerks sind enorm gestiegen. Aber das kann man nachholen, das ist erlernbar. Ohnehin entscheidet der Mittelständler über Ausbildung oder Anstellung im persönlichen Gespräch. Hier offenbaren sich gelegentlich erstaunliche Schwächen im Sozialverhalten. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass jemand beim Kunden die Mütze absetzt oder sein Kaugummi rausnimmt.

Und leider auch nicht, dass er die deutsche Sprache so gut beherrscht, dass er einen Lieferschein fehlerfrei ausfüllen kann. Und hier spreche ich ausdrücklich auch von deutschen Jugendlichen. Die Schüler mit höheren Abschlüssen kommen leider immer noch zu wenig ins Handwerk.

Sie reden vom vielzitierten Akademisierungswahn.

Neukirchen: Richtig. Als es vor rund 20 Jahren hieß, Deutschland brauche mehr Akademiker, wurde komplett übersehen, dass wir mit dem dualen System ein einzigartiges Werkzeug haben, das auch die Arbeitslosigkeit im europäischen Vergleich stets gering hielt. Dass dieses duale System der Weg zum Meister ist — also zu einem eigenen hochwertigen Abschluss. Dass ein guter Handwerker oftmals viel bessere Verdienst- und Aufstiegschancen hat als ein Akademiker. Auch heute heißt es noch: Wer das Abitur macht, muss auch studieren.

Und darf auf keinen Fall Handwerker werden?

Neukirchen: Das ist kein originäres Problem des Handwerks, aber es trifft die Branche. Dabei liegt die Abbrecherquote an den Unis und Hochschulen bei 40 Prozent. Wir müssen die jungen Menschen davon überzeugen, dass sie den Weg ins duale System nicht als sozialen Abstieg empfinden. Sonst sind sie für das Handwerk verloren. Aber es gibt Positivbeispiele — auch in Krefeld: Die jahresbeste Anlagenmechanikerin, Annabell Jonat, hatte vor ihrer Ausbildung im Sanitär- und Heizungshandwerk ein geisteswissenschaftliches Studium begonnen.

Also hat das Handwerk ein Image-Problem?

Neukirchen: Das ist wohl so. Ein Fließbandarbeiter irgendwo bei BMW zählt im Ansehen der Jugendlichen im Zweifel mehr als ein KFZ-Mechatroniker in einer Werkstatt. Obwohl hier definitiv die besseren Entwicklungsmöglichkeiten liegen. Leider wird das auch durch die Haltung vieler Schulen gefördert. Noch heute ist es für uns ungemein schwierig, in manches Krefelder Gymnasium zu kommen und unsere Branche vorzustellen. Dort heißt es dann: Wir bilden für eine akademische Laufbahn aus, nicht für das Handwerk.

Es gibt Initiativen des Bildungsministeriums wie aktuell „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Hilft so etwas?

Neukirchen: Der Gedanke ist gut, Schüler der Klasse acht an drei Tagen an unterschiedliche Berufsfelder heranführen zu wollen. Allein, er ist kaum umsetzbar. In Krefeld müssten zwischen 7000 und 8000 Schüler in einem kurzen Zeitraum in den Betrieben untergebracht werden, das ist kaum leistbar. Zudem: Im Handwerk spielt sich die Wirklichkeit in vielen Branchen draußen beim Kunden ab, nicht im Betrieb. Das ist organisatorisch kaum zu bewältigen.

Was können die Handwerker selbst für eine Aufbesserung des Images tun?

Neukirchen: Zunächst mal werden unsere Betriebe vom Zentralverband des Deutschen Handwerks durch die bundesweite Imagekampagne unterstützt. Motive und Inhalte sind auf Jugendliche zugeschnitten und können für die eigene Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden. Zeitgemäß sollte es heute auch für jeden Mittelständler sein, eine funktionierende, informative Homepage anzubieten. Das ist nicht immer so, und angesichts der Tatsache, dass 60 Prozent der Krefelder Handwerksunternehmen weniger als fünf Mitarbeiter haben, auch verständlich. Hier sowie in der Präsenz in den sozialen Medien gibt es noch viel zu tun.

Nur jeder Fünfte bildet aus — erschreckend wenige.

Neukirchen: Das ist immer noch eine vergleichsweise hohe Zahl, und die Ausbildungsleistung im Handwerk hat im vergangenen Jahr zugelegt. Das Handwerk ist nach wie vor Deutscher Meister in der Ausbildung. Es gibt jedoch wie gesagt viele Kleinstunternehmen, eine Ausbildung kostet Geld und Zeit. Zudem sind einige Betriebe mittlerweile zu spezialisiert oder haben schlechte Erfahrungen gemacht. Aber es stimmt: Wer Fachkräfte haben will, sollte sie auch ausbilden. Wer selbst ausbildet, weiß, was er bekommt.

Thema Flüchtlinge: Ist Zuwanderung angesichts dieser Ausbildungssituation nicht eine große Chance?

Neukirchen: Ja, aber bitte mit Geduld. Diese Menschen müssen erst unsere Sprache lernen und die Kultur verstehen. Derzeit gibt es in Krefeld rund 600 Plätze für Integrationsmaßnahmen und Bildungsmaßnahmen für Flüchtlinge. Auch unser Bildungszentrum ist mit einem Angebot dabei. Unserer Erfahrung nach braucht es zwei bis drei Jahre, bis ein Geflüchteter hier eine Lehre machen oder das Fachwissen aus der Heimat um unsere Standards ergänzen kann. Vor Teilqualifizierungen, mit dem Ziel einer schnellen Integration in den Arbeitsmarkt, kann ich nur warnen. Das hat bereits bei unseren Langzeitarbeitslosen nicht nachhaltig funktioniert.

Was muss die Politik tun?

Neukirchen: Bezogen auf unser Thema: Die Voraussetzung schaffen, dass bei Zuwanderern möglichst schnell das Bleiberecht geklärt wird. Betriebe müssen Planungssicherheit haben. Übergreifend wünsche ich mir von der EU, dass sie den Meistervorbehalt in den verbliebenen 42 Berufen nicht aushöhlt, sondern stützt. Das hat Deutschland schließlich vorangebracht.