Krefelds OB sieht Kommunen heillos überfordert Behörden kontaktierten mutmaßlichen Cinemaxx-Brandstifter noch am Tattag
Krefeld · Dem Tatverdächtigen vom Krefelder Cinemaxx-Kino wurde noch am Tattag eine Ankündigung gemacht. Krefelds Oberbürgermeister Frank Meyer sieht die Kommunen heillos überfordert.
Der mutmaßliche Brandstifter von Krefeld ist noch am Tag der Tat durch Sachbearbeiter des sogenannten PeRiskoP-Programms zum Umgang mit Personen mit Risikopotenzial kontaktiert worden. Dem 38 Jahre alten Krefelder mit iranischen Wurzeln wurde noch am Tattag des 10. Oktober die Einladung zu einem Präventivgespräch angekündigt. Der Mann sei am 17. September in die Prüffallstufe 1 des Konzepts aufgenommen worden, am 7. Oktober in die Stufe 2. Die weitere Überprüfung habe zum Zeitpunkt der Tat noch angedauert, eine entsprechende Einstufung in die Stufe 3 als „Person mit Risikopotenzial“ sei bis zur Tat „noch nicht erfolgt“. So heiß es in einem Antwortschreiben aus NRW-Innenministerium und NRW-Integrationsministerium an die SPD-Fraktion im NRW-Landtag zum Tathergang und zum Täter, das unserer Redaktion vorliegt.
„Auch in diesem Fall kommen täglich neue Details ans Tageslicht. Innerhalb kürzester Zeit sollte der Tatverdächtige als Person mit Risikopotenzial in die höchste Stufe von PeRiskoP eingestuft werden. Dass ihm diese Einstufung ausgerechnet am Tattag angekündigt wurde, beschreibt das Pulverfass, auf dem er offenbar saß“, sagte die SPD-Abgeordnete Christina Kampmann am Freitagabend. „Von daher stellt sich die Frage, warum er nicht schon viel früher ins Visier genommen worden ist oder welche Hinweise es diesbezüglich vorher schon gegeben haben könnte.“ Erst zwei Schüsse aus einer Dienstwaffe in Oberschenkel und Schlüsselbein im Eingangsbereich des Cinemaxx in Krefeld konnten nach einer Reihe von Brandstiftungen verhindern, dass der 38-Jährige auch im Foyer des zum Zeitpunkt mit 89 Personen besetzten Kinos Feuer legen konnte.
„Sie können die Zahlen in NRW auf Krefeld runterbrechen“
Derweil hat Krefelds Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD) im Nachgang des Falls gegenüber dieser Zeitung gefordert, dass Kommunen in NRW nur noch jene Menschen zugeordnet werden dürften, die auch eine Bleibeperspektive hätten. Der mutmaßliche Täter sei nicht der einzige Fall im Kreis geflüchteter Menschen, die wegen schwerer Gewalttaten Haftstrafen verbüßt hätten und wieder auf freiem Fuß in Krefeld lebten. „Da können Sie die Zahlen in NRW auf Krefeld runterbrechen“, sagte Meyer, ohne eine genaue Zahl selbst nennen zu wollen.
Der OB sieht die Kommunen mit dieser Aufgabe heillos überfordert. „Wir brauchen Abkommen mit Staaten für gelingende Abschiebungen. Aus tiefster Überzeugung halte ich es für unerträglich und inakzeptabel, dass Menschen, die hier Brände legen, Menschen bedrohen oder auch vergewaltigt haben, noch hier sein können. Die müssen raus.“ Sollten solche Abkommen nicht möglich sein, sei es in der Verantwortung des Landes, diese Menschen in „zentralen Schwerpunktausländerbehörden“ unterzubringen, „die auf solche Leute eingerichtet sind“, findet Meyer. „Ich halte es für keine gute Idee, dass sie stattdessen alleine mitten in der Großstadt leben.“ Er wolle das Rathaus in Krefeld „auch künftig nicht zu einer Hochsicherheitszone machen müssen“. Dabei sei Meyer wie andere Oberbürgermeister auf Land und Bund angewiesen, weil dort die Gesetze gemacht würden. „Ich kann mir meine Gesetze nicht selbst basteln.“
Verschiedene Oberbürgermeister in NRW bestätigen diese Zeitung, sich ob dieser Nöte an die Ministerien gewandt zu haben, sich danach aber allein gelassen fühlen. Das Integrationsministerium bestätigt in einer Antwort an diese Zeitung, dass sich „Kommunen in Einzelfällen direkt an das MKJFGFI gewandt haben“. In erster Linie könnten die allerdings „hervorgehobene Fälle an das Fallmanagement der Bezirksregierungen steuern“. Das befasse sich mit der „prioritären Rückführung von Straftätern und Personen mit erheblich negativem Sozialverhalten“, gemeinsam mit den Regionalen Rückkehrkoordinationsstellen (RRK) bei den fünf Bezirksregierungen. Seit Einrichtung des Fallmanagements NRW in 2018 hätten die RRK 3119 Fälle ausländischer strafrechtlich auffälliger Personen und ausländischer Personen mit erheblich negativem Sozialverhalten durch Fallkonferenzen begleitet. 1487 Fälle davon seien abgeschoben worden. Weitere Abschiebungen durch örtliche Ausländerbehörden in NRW kämen hinzu, die aber seien „statistisch nicht gesondert erfasst“. Allerdings heißt es auch: Das System der Rückführungen sei „insgesamt fehleranfällig“. Zur Identitätsfeststellung müsse bereits „bei der Einreise in die EU klar sein, dass die Identitäten der Menschen festgestellt und registriert werden. Auf Landesebene haben wir bereits die Möglichkeiten der Datenträgerauswertung gestärkt, um an dieser Stelle zu unterstützen“, so eine Sprecherin des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration in NRW (MKJFGFI).
Bekommen die
Kommunen Hilfe?
Um den Kommunen Hilfe zukommen zu lassen, brauche es laut NRW-Innenministerium „behördenübergreifenden Zusammenarbeit im Rahmen der Gefahrenabwehr“. Gemeint sind polizeiliche Maßnahmen wie Gefährderansprachen oder Ingewahrsamnahmen, aber auch Maßnahmen der kommunalen Behörden, der Gesundheits- und Jugendämter und Ausländerbehörden. Anlassbezogen erfolge im Rahmen von multiprofessionellen Fallkonferenzen ein regelmäßiger Informationsaustausch. Neben einer konsequenten Strafverfolgung „unter Ausschöpfung sämtlicher rechtlich zulässiger Maßnahmen“ würden „selbstverständlich auch präventive Maßnahmen“ in den Blick genommen. Hierbei greife eben das Konzept „PeRiskoP“, das „Personen mit Risikopotenzial“ betrachte und die Verhinderung schwerer und zielgerichteter Gewalttaten zum Ziel habe.
Die Landesregierung habe „mit ihrem Maßnahmenpaket und der Bundesratsinitiative bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht, um bei der Steuerung und Ordnung von Migration und Rückkehrmanagement die Handlungsmöglichkeiten zu verbessern und Verfahren zu beschleunigen. Jetzt gehe es darum, „dass auch Bund und EU handeln“. Für eine Stärkung des „Rückkehrmanagements“ sei es wichtig, „Prozesse zentral zu steuern und die Zentralen Ausländerbehörden zu stärken“. Mit den fünf Zentralen Ausländerbehörden (jeweils eine pro Regierungsbezirk) sei das Land gut aufgestellt und habe entsprechend flächendeckende Strukturen aufgebaut.
Die Problemanzeigen aus „größeren und kleineren Kommunen“ nehme man ernst, wie das Ministerium mitteilt. „Wir werden in Kürze in einen strukturierten Austausch unter Einbindung der Kommunalen Spitzenverbände eintreten und dabei auch auf die Expertise der Fachkollegen im Gesundheitsministerium oder auch der Psychosozialen Zentren zurückgreifen.“ Vulnerable, psychisch kranke und traumatisierte Schutzsuchende müssten „bestmöglich betreut werden“. Zudem habe man schon „vor dem Anschlag in Solingen den Ausbau der Zentralen Ausländerbehörden (ZAB) verfolgt. Deren Zuständigkeit würde „Schritt für Schritt erweitert, um die kommunalen Ausländerbehörden bei Rückführungen zu unterstützen.“