Krefeld Stadttheater: Poetisches Kammerspiel zieht in den Bann

Das Stadttheater bringt mit „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ ein spannendes Thema auf die Bühne.

Krefeld. Ein Sänger und Musiker kann plötzlich Gesichter und Gegenstände nicht mehr erkennen, was in der Medizin als „Seelenblindheit“ bezeichnet wird. Der Patient entwickelt selbst ein Hilfsmittel, um sich im Alltag zurechtzufinden. Er verknüpft jede Tätigkeit mit Musik. Ein ungewöhnlicher, aber zugleich auch passender Stoff für die Theaterbühne. „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ heißt die Kammeroper, die der britische Komponist Michael Nyman 1986 nach einer Erzählung von Oliver Sacks schrieb.

Foto: Matthias Stutte

Als unglaublich dichtes Kammerspiel war das Werk jetzt in der Regie von Robert Nemack auf der Bühne des Krefelder Theaters zu erleben. Das lag bereits an dem räumlichen Konzept der Aufführung, das die Zuschauer mit auf die Bühne holt. An drei Seiten der Bühne stehen Stuhlreihen, die Seite zum eigentlichen Zuschauerraum bleibt offen. In der Mitte befindet sich eine kleine Drehbühne, auf der die Wohnung des Musikers mit wenigen charakteristischen Möbeln angedeutet ist: ein Flügel, der aber am hinteren Ende durchtrennt ist, ein Ledersofa, Tisch und Stühle.

Auf der übrigen Bühne findet man das Sprechzimmer des Arztes, ebenfalls auf wenig Mobiliar reduziert. Vorne, Richtung Zuschauerraum, sind die Musiker platziert, ein siebenköpfiges Ensemble aus Streichquintett, Harfe und Klavier. Die drei Protagonisten, der Musiker Dr. P. (Andrew Nolen), seine Frau (Debra Hays) und sein Arzt Dr. S. (Markus Heinrich), bewegen sich während der 70-minütigen Spieldauer die ganze Zeit in diesem Raum, hautnah beim Publikum. Diese Raumsituation, die das niederländische Designer-Duo Clement & Sanôu mit viel Einfühlungsvermögen geschaffen hat, trägt viel zu der packenden Atmosphäre bei. Denn die Handlung allein beinhaltet keine großen Spannungsmomente. In kurz aufeinander folgenden Sequenzen wird erst die Diagnose erstellt.

Im weiteren Verlauf wird an verschiedenen Beispielen durchgespielt, wie der Patient mit Hilfe der Musik seinen Alltag bewältigt. Wohl nicht zufällig spielen die Kompositionen von Robert Schumann, der selbst geistig erkrankte, eine besondere Rolle. So kommt es zu einem besonderen Moment, wenn Dr. P., von seiner Frau am Klavier begleitet, „Ich grolle nicht“ aus der „Dichterliebe“ singt.

Fast beiläufig passiert die Situation, die dem Stück den Titel gegeben hat. Denn je nach Sitzplatz ist es auch für den Zuschauer eine gewisse Herausforderung, auf der sehr breiten Bühne immer alles im Blick zu haben. Viel ist ständig in Bewegung, die Drehbühne fast durchgehend, ebenso die Akteure. Dazu gibt es einige Filmprojektionen und Gegenstände, die herauf und herunterschweben. Auch akustisch sorgt die im Stil der Minimal Music geschriebene Komposition, trotz ihrer Monotonie für eine unterschwellige Ruhelosigkeit. Das Gefangensein in Strukturen, aber auch bestimmte Ausbrüche daraus, spiegelt diese Musik sehr passend wieder.

Michael Preiser leitet das Ensemble der Niederrheinischen Sinfoniker präzise und mit viel Einfühlungsvermögen. Die Musik entwickelt dadurch einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann, der aber nach gut einer Stunde auch ausgereizt ist. Im Dialogstil ist der Gesang und entsprechend wie Schauspieler agieren die Sänger. Alle drei Akteure überzeugen stimmlich und darstellerisch glänzend. Andrew Nolen lässt hinter dem sensiblen Musiker auch die Willenskraft erkennen, der Krankheit etwas entgegenzusetzen, Debra Hays ist die geduldige und fürsorgliche Ehefrau und Markus Heinrich der Arzt, der nicht nur medizinisch, sondern auch menschlich an dem außergewöhnlichen Fall interessiert ist. Das Publikum lässt sich bis zum Ende von diesem poetischen Kammerspiel in den Bann ziehen. Denn erst am Ende entlädt sich die konzentrierte Stille in langanhaltendem heftigen Applaus.