Luftschutz: Als die Minuten sich wie Stunden anfühlten

Die Zeit wollte nicht vergehen. Nach 60 Minuten hörte das Bombardement auf.

Krefeld. In der Regel wurde die Luftgefahr im Rundfunk bekanntgegeben. Der Abend des 21. Juni blieb von Meldungen dieser Art frei. In Vorbereitung auf den ohnehin zu erwartenden nächtlichen Fliegeralarm begaben sich die Krefelder zur Ruhe. Wir wohnten mit zwei weiteren Familien im Hause Moritzplatz 4a. Mein Vater war zur Wehrmacht eingezogen. Außer mir als 18-Jährigem waren nur Frauen und Kinder sowie alte Leute im Haus.

Kurz nach 1 Uhr heulten die Sirenen. In der gewohnten schnellen Weise kleideten wir uns an. Schon bald donnerten die Geschütze der um Krefeld stationierten Flakbatterien. Nach dem Verlassen der Wohnung hörte ich im Hausflur, dass alle Bewohner bereits auf den Beinen waren.

Plötzlich leuchtete ein heller Schein durch die Flurfenster. Bei einem Blick aus der Haustür sah ich am Himmel einen sogenannten „Christbaum“. In Kaskadenform erhellten die vielen Lichter dieses „Christbaumes“ das gesamte Wohnviertel. Laut rief ich deshalb durch den Hausflur: „Über uns steht schon ein Christbaum“. Das war für alle das Signal, sich in höchster Eile in den Luftschutzkeller zu begeben.

Gegen 1.30 Uhr begannen die Bomben zu fallen. Je nach Entfernung der Einschläge hörten wir die Detonationen in unterschiedlicher Lautstärke.

Im Keller war eine angsterfüllte, angespannte Ruhe. Ein ältere Hausbewohnerin betete gut hörbar. Meine Mutter, von der eine ausgeprägte Ruhe ausging, sagte bei jedem Heulton herabfallender Bomben: „Mund aufmachen!“ Mit dieser Maßnahme sollte bei einem unmittelbaren Einschlag ein Zerreißen der Lungen durch den Luftdruck vermieden werden. Nach 2 Uhr sagte eine Hausbewohnerin: „Hört das denn immer noch nicht auf?“ Die Zeit wollte nicht vergehen. Die Minuten wurden zu Stunden.

Kurz darauf hatten die Bewohner des Nachbarhauses den Durchbruch durchgeschlagen. Meine damals acht Jahre alte Schwester glaubte, die Mauer würde einstürzen und schrie laut auf. Ein Mann aus dem Nachbarhaus erklärte mit angstverzerrtem Gesicht: „Vorne brennt alles.“

Nach einer Stunde, etwa um 2.35 Uhr, hörte das Bombardement auf. Nachdem fünf Minuten vergangen waren, ohne dass eine weitere Bombe fiel entschloss ich mich, nach draußen zu gehen. Als ich vom Moritzplatz in Richtung Stadtmitte in die Hülser Straße bzw. Geldernsche Straße hineinsah, schaute ich in ein einziges Flammenmeer. Die Flammen verursachten einen hohen Sauerstoffverbrauch. Hierdurch entstand ein Feuersturm. Ich sehe noch das Bild, wie sich Kastanienbäume im Garten der Eckwirtschaft Moritzplatz unter diesem Feuersturm bogen.