Manfred Grünwald: Er webt wie zu Königs Zeiten
Manfred Grünwald verarbeitet in seiner Weberei an der Langen Donk reines Leinen wie vor hundert Jahren.
Krefeld-Fischeln. Die blutigen Weberaufstände des 19. Jahrhunderts sind in die Geschichte eingegangen. Der Handwebstuhl symbolisiert das, was der Industrialisierung zum Opfer gefallen ist: ganzheitliches Arbeiten. Das Fertigen eines Produkts vom Anfang bis zum Ende.
Manfred Grünwald dreht in seiner Werkstatt an der Langen Donk 122 die Zeit zurück. Der 70-jährige Rentner webt Leinenstoffe auf einem Handwebstuhl, wie es bereits seine Vorfahren vor sechs Generationen getan haben. „Weben ist ein echtes Handwerk, das ich als Hobby ausübe“, fasst Grünwald zusammen.
Geboren wurde der Sohn einer Weberfamilie in Nordböhmen, heute Tschechien. Im Zuge der Vertreibung 1945/46 kam er mit seiner Familie nach Deutschland. Von der Pieke auf lernte er das Weberhandwerk, allerdings auf mechanischen Stühlen. 1960 zog die Familie nach Krefeld. Bis zur Rente arbeitete Manfred Grünwald in der Textilindustrie, überwiegend in leitenden Positionen. Dann erst lernte er durch seinen 20 Jahre älteren Bruder das Weben auf einem über 200 Jahre alten Handwebstuhl. „Und das war, als hätte ich nie etwas anderes gemacht“, erinnert er sich. Von da an führte er den kleinen Betrieb seines Bruders weiter. „Man kommt runter. Es entschleunigt alles“, sagt er über seine Arbeit.
Auf die individuellen Wünsche seiner Kunden eingehend, fertigt er Tischdecken, Kissenbezüge, Servietten und Bettwäsche in höchster Qualität. „Ich erlebe den ganzen Prozess eines Einzelstücks, angefangen beim Bespannen des Webstuhls. Nur das Garn stelle ich nicht selber her.“
Doch nicht nur die Freude, im Ruhestand eine sinnvolle Beschäftigung zu haben, motiviert ihn. „Ich arbeite mit Dingen, die eine Seele haben.“ Diese hingebungsvolle Philosophie sieht man seinen Produkten an. Reklamationen hat er noch nie erhalten.
Leben könnten Grünwald und seine Frau von den Erträgen aber nicht. Es sei nun mal kein lukratives Geschäft, Dinge herzustellen, die Zeit brauchen, extrem lange halten und eine recht kleine Käuferschaft ansprechen. Deshalb sieht er kaum eine Zukunft für sein Handwerk. „Ein junger Mensch muss Geld verdienen. Wahrscheinlich bin ich also der letzte, der hier das Licht ausmacht“.
Grünwalds Arbeitsmaterial, das reine Leinen, ist im Vergleich zu früher in Vergessenheit geraten. Zum einen werden heutzutage gerne pflegeleichtere, zum Beispiel synthetische, Stoffe oder Leinengemische gekauft. Zum anderen ist es fast unmöglich, Leinengarn auf den schnellen Industriemaschinen zu verarbeiten. Die Fäden reißen, die Verarbeitung wird teurer. Und das würde die Weber des 19. Jahrhunderts freuen: Ihr Garn aus Flachs widersetzt sich der Industrie.