Veranstaltung Wie wird man ein attraktiver Arbeitgeber? [Mit Video]
Krefeld · Der Fachkräftemangel ist ein deutschlandweites Problem. Krefelder Unternehmen haben sich getroffen, um herauszufinden, was es bedeutet ein „Attraktiver Arbeitgeber“ zu sein.
Der Fachkräftemangel hält die Wirtschaft in Atem. Die Krise geht quer durch alle Branchen. Nicht mehr die Arbeitgeber suchen sich die geeigneten Fachkräfte aus, sondern die Arbeitnehmer wählen unter den attraktivsten Unternehmen. Der Personalmarkt hat sich komplett gedreht. „Weg von ,wir erwarten‘, hin zu ,wir bieten‘“, so fasste IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz in der begleitenden WZ-Wirtschaftsbeilage vom 28. Oktober zum Thema „Attraktive Arbeitgeber“ die neue Herausforderung zusammen. Am Dienstagabend haben in den Räumen der Westdeutschen Zeitung an der Krefelder Rheinstraße große „Player“ der Stadt genau über dieses Thema diskutiert. Wie positioniere ich mein Unternehmen attraktiv im Wettstreit um die zu wenigen Fachkräfte?
Die Hochschulstudie
überrascht
Gespannt erwarteten die Protagonisten die Ergebnisse einer Studie von Professor Alexander Cisik, der an der Hochschule Niederrhein Wirtschaftswissenschaften und Arbeitspsychologie lehrt. Er wartete mit Überraschungen auf. Unter den Kriterien Arbeitgeberqualität und Arbeitszufriedenheit analysierte er, was Mitarbeiter wirklich wollen – und was sie tatsächlich bekommen. „Ein angenehmes und wertschätzendes Betriebsklima liegt bei den Wünschen der Arbeitnehmer ganz weit vorne, wie generell die weichen Werte immer wichtiger werden.“
Dazu zähle auch flexible Arbeitszeitgestaltung. Nicht das Gehalt und auch nicht Gesundheitsprogramme würden darüber entscheiden, ob Fachkräfte kommen oder bleiben, sagte er zur Überraschung mancher Teilnehmer. An der Spitze wichtiger Kriterien stünden außerdem eine partnerschaftliche Führung, eine Gleichbehandlung aller Mitarbeiter und der Erfolg des Unternehmens. Immerhin seien 56 Prozent aller Befragten sehr zufrieden mit ihrer Arbeit, weitere elf Prozent bei Veränderungen gesprächsbereit. Als gutes Ergebnis der Studie bezeichnete er, dass Erwartung und Realität zu 88 Prozent übereinstimmten. Bedürfnisorientiertes Management habe die besseren Karten, Arroganz mancher Großunternehmen sei hingegen völlig deplatziert, so Cisik. Eine weitere Empfehlung: Unternehmen sollten sich nicht so sehr auf die junge Zielgruppe konzentrieren. Bei der demoskopischen Lage liege ein großes Potenzial bei den älteren erfahrenen Mitarbeitern – auch über den Ruhestand hinaus.
Rege Diskussion
und bemerkenswerte Ideen
In zwei anschließenden Diskussionsrunden entlockte Moderator Olaf Kupfer, stellvertretender Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung, den Gästen manchen Kommentar zur Studie und bemerkenswerte Erfolgsbeispiele aus den eigenen Unternehmen. Claudia Klein, Personalverantwortliche beim Chemiekonzern Lanxess, verwies auf ähnliche Umfrageergebnisse wie die der Studie, widersprach Cisik aber bei der Bedeutung der Gesundheitsförderung, die seit Corona einen erheblich höheren Stellenwert habe. Überhaupt habe die Pandemie das Führungsverhalten per Kulturwandel verändert und Timeouts auch für Männer ermöglicht. Homeoffice habe bislang „supergut geklappt“, müsse zielgruppenorientiert sein, sei aber aus dem Ausland über längere Zeit sozialarbeitsrechtlich leider noch nicht möglich. Junge Menschen wüssten heute genau, was sie wollen und würden nur bleiben, wenn sie sich wohlfühlen. „Wir stellen bis zu 60 Jahren ein und behalten bewährte Kräfte über die Rente hinaus.“ So erfülle Lanxess bereits die Forderung der Studie.
Jürgen Steinmetz, für IHK-Mitgliedsbetriebe mit 78 000 Beschäftigten am Niederrhein zuständig, bewertete die Studie positiv und als Signal für Veränderungen. Sie mache Defizite deutlich. Überrascht und nicht vollends überzeugt zeigte auch Steinmetz sich über den vermeintlich geringen Stellenwert von Gesundheitsmaßnahmen, für die sich viele Betriebe am Niederrhein engagierten. Für eine gute Atmosphäre wüden flache Hierarchien sowie die Beteiligung von Mitarbeitern mit Betriebsräten und Gewerkschaften sorgen, so Steinmetz. Die jüngste Konjunkturbefragung der IHK habe ergeben, dass die Betriebe das Geschäftsrisiko durch den Fachkräftemangel inzwischen doppelt so hoch einschätzen. Als Beispiele nannte er die Bauwirtschaft mit 70 Prozent nicht besetzter Stellen und ein Drittel offene Ausbildungsplätze. Da die Differenzen demografisch nicht auszugleichen seien, müsse die Politik dringend das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz vereinfachen.
„Wer nicht aus- und weiterbildet, darf sich nicht wundern, wenn er keine Nachwuchskräfte findet“, verwies Ralf Claessen, Geschäftsführer der IG Metall Krefeld, auf Versäumnisse mancher Betriebe, lobte aber, dass die große Mehrheit der Betriebe verantwortungsvoll mit ihren Mitarbeitern umgehe. Wichtig aus Gewerkschaftssicht seien Fairness, Gerechtigkeit, Arbeitsplatzsicherheit und ein zuverlässiges Rentensystem. Für kleine und mittlere Unternehmen mahnte er mehr Unterstützung an, etwa durch externes Ausbildungsmanagement. Allerdings gab er auch eigene Fehler zu. „Die Gewerkschaften haben sich lange zu sehr auf Großbetriebe, Facharbeiter und männliche Kräfte konzentriert.“ So könne er sich Ausbildung in Teilzeit vorstellen oder Teilzeit in Elternzeit vorstellen. Ein Manko sieht Claessens darin, dass in Krefeld Jugendlichen nicht die Vielfalt der Berufe vermittelt werde. Als Vorbild und „Juwel“ für das Engagement für Mädchen bezeichnet der Gewerkschafter das Netzwerk für Frauen „Leading Ladies in Town“, das lokale Unternehmen mit qualifizierten Frauen zusammenbringe.
Auch Kerstin Abraham, Vorständin der Stadtwerke Krefeld, zählt zu diesen „Leading Ladies in Town“, die etwa 160 Akteure aus Wirtschaft, Politik, Bildung, Sport und Kultur vernetzen. Aufgrund der vielfältigen Arbeitsfelder als Energieversorger, Abfallentsorger und Verkehrsbetrieb sei die Suche nach Fachkräften für die Stadtwerke Krefeld besonders schwierig, erläuterte Abraham. Für 60 Prozent der Arbeitsplätze würden feste Arbeitszeiten gelten, etwa für Bus- und Bahnfahrer – Homeoffice unmöglich. Blieben 40 Prozent für Homeoffice-Arbeit, die werde so „weit wie möglich“ genutzt. Die Werbung um neue Mitarbeiter müsse sehr differenziert kommuniziert werden. Gerade für Auszubildende gelte eine zielgruppengerechte Ansprache. Letztlich sei aber eine Führung wichtig, die sich als Coach und Mentor der Mitarbeiter verstehe – und Ziele vorgebe. Zuletzt hätten die Stadtwerke Kandidaten für Bus- und Bahnfahrer zu einem Event eingeladen und niedrigschwellig umfassend über Vor- und Nachteile des Berufs und entsprechende Verdienstmöglichkeiten informiert. Der Erfolg: 20 neue Mitarbeiter. „Können Frauen besser führen?“, fragte Kupfer. „Ein klares Nein.“ Es gebe bei beiden Geschlechtern solche und solche. „Man muss in erster Linie Vorbild sein. Vielleicht können Frauen besser Schwächen zugeben“, sagte Abraham lächelnd
Georg Geier, Geschäftsführer der Siempelkamp Gießerei, setzt wie Abraham auf die Vorbildfunktion der Führungskraft und auf gemeinsame Lösungen. „Wir haben viele gewerbliche Mitarbeiter, auf die man anders zugehen muss als auf Akademiker. Und für die auch Homeoffice nicht in Frage kommt.“ Unternehmenskultur könne man nicht verordnen, sondern nur vorleben. Regelmäßiger Kontakt erfolge über Betriebsrundgänge und Gespräche. Wenn die Chemie stimme, werde auch mit Begeisterung gearbeitet. „Wir haben flache Hierarchien und zuletzt 120 neue Mitarbeiter eingestellt.“
„Die Zeiten, in denen sich 1300 junge Menschen um 140 Ausbildungsplätze bei der Sparkasse beworben haben, sind leider vorbei“, sagte Claus Holländer. Der Leiter Ausbildung und Führungskräftebetreuung wirbt mit modernen Arbeitsplätzen und guten Karrierechancen um externe Fachkräfte. Er setzt dabei verstärkt auf Quereinsteiger mit kaufmännischer Ausbildung. Methodische Kenntnisse und fachgerechte Beratung würden durch Service-Teammitglieder vermittelt. „Weil die Kunden eine hohe Präsenz unserer Berater vor Ort wünschen, gehen wir mit Homeoffice-Arbeitsplätzen traditionell sparsam um.“
Anne Furth berichtet als Betreiberin des Nordbahnhof aus der Gastronomie. „Uns geht es gut“, sagte sie fast etwas verlegen. Trotz Corona sei es gelungen, das Fachpersonal, das größtenteils schon seit 20 Jahren im Betrieb beschäftigt sei, zu halten. Und trotz Kurzarbeit habe man den Kontakt zu den Mitarbeitern aufrechterhalten und ihnen durch Umstrukturierung andere Aufgaben zugeteilt. Bindung und Zuwendung für Mitarbeiter seien wichtig. „Unsere Branche mit ihren Öffnungszeiten lässt leider keine flexiblen Arbeitszeiten zu. Aber neue hilfreiche Ideen wie der Lieferservice schon“, sagte Furth.