„Der Schmerz hat viele Gesichter “
Robert Bosch spricht über die Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden.
Herr Bosch, welche Erfahrungen haben Sie in der Sterbebegleitung gemacht?
Robert Bosch: Ruft mich der Tod, oder rufe ich den Tod: Es gibt nach meiner Erfahrung zwei wesentliche Ausrichtungen am Lebensende eines Menschen. Erwartet jemand eigentlich das Leben und eben (nicht nur) das Sterben, so geht es darum, dieses Leben noch voll und lebenswert zu gestalten. Solange wir diesen Menschen begleiten, lebt er — und sterben wird er erst ganz am Schluss. Ersehnt jemand hingegen das Ende allen Leids und den Tod, geht es um ein gemeinsames Aushalten seines Schicksals.
Sterben ist ein Prozess, der sich oft über Tage, manchmal auch über Wochen hinzieht. Kann man wirklich lernen, damit umzugehen?
Bosch: Es gibt kein standardisiertes Sterben. Der Sterbeprozess ist individuell gefärbt und braucht ein vertrauensvolles und geborgenes Umfeld. Bei der Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen hilft ein hohes Maß an Selbstreflexion zwischen Tun und Lassen. Wir benötigen eine gemeinsam suchende Haltung.
Dass es nichts mehr zu tun gibt und man den Lauf der Dinge akzeptieren muss, ist eine Erfahrung, die einem inmitten eines Sterbeprozesses aufgezwungen wird. Kann die Akzeptanz des Unvermeidlichen dennoch gelingen?
Bosch: Auch wenn es den Anschein hat, als könne man für Sterbende nichts mehr tun, so kann doch noch viel gemacht werden. Man braucht allerdings andere Zugangswege, die sich überwiegend in der sozialen und spirituellen Dimension befinden. Die Akzeptanz liegt wesentlich im Erleben von Heil(sein) im Unheil.
Nicht jeder traut sich die Pflege und die Versorgung eines Sterbenden zu und wird dann zerrissen inmitten von Überforderungsängsten und dem Bemühen, dem Sterbenden unbedingt seinen letzten Wunsch erfüllen zu wollen. Was ist zu tun?
Bosch: Vielen Menschen ist das Sterben unheimlich. Sie sind unsicher und leben mit vielen inneren Fragen. Bei schwerst kranken Menschen hingegen stellt das mit Schmerz und anderen Beschwerden häufig verbundene Gefühl von Kontrollverlust eine maximale Überforderung dar. Um letzte Wünsche erfüllen zu können, muss Sorge für eine „Entschleunigung“ durch Entlastung der Beteiligten gewährleistet sein. Das kann die Palliativversorgung leisten.
Und wenn man es trotz aller Mühen nicht schafft oder es seelisch nicht verkraftet, den Sterbenden zuhause zu begleiten. Darf man das sagen?
Bosch: Ja, bitte! Viele Angehörige haben Schuldgefühle, wenn sie über ihre Grenzen „des Versprochenen“ kommen. Schuld und Scham sind allerdings keine guten Wegbegleiter. Es gibt auch nicht wenige Betroffene, die nur darauf warten, bis die Entscheidung durch ein klar gesprochenes Wort enttabuisiert ist. Vor der Aufnahme in ein Hospiz sollte man allerdings die Möglichkeiten einer ambulanten Palliativversorgung ausloten.
Sterbebegleitung heißt auch Abschiednehmen und Trauern um den Verlust, der einem bevorsteht. Sollte man dennoch am Sterbebett immer tapfer bleiben, um den Sterbenden nicht mit dem eigenen Schmerz zu belasten?
Bosch: Der Schmerz hat viele Gesichter, Abschiedsschmerz ist ganz natürlich. Auch wenn Sie versuchen tapfer zu bleiben — auf der emotionalen Ebene wird es Ihnen nicht gelingen. Das wiederum sorgt umso mehr für Verwirrung für den sterbenden Menschen. Eine gemeinsam geteilte Gemütsbewegung ist meiner Meinung nach ehrlicher als ein Vakuum an tabuisierten Gefühlen.