Gastbeitrag Paul Schneider – Zweifler, Christ und Märtyrer

Erkrath · Nur wenige Erkrather wissen etwas über den Pfarrer, nach dem das evangelische Gemeindehaus in Hochdahl benannt ist. Jochen Wagner beleuchtet den Werdegang des mutigen „Pfarrers von Buchenwald“.

Pfarrer Paul Schneider.

Foto: Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland

Paul Schneider wird am 29. August 1897 in Pferdsfeld im Hunsrück als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Im Ersten Weltkrieg kämpft er als Kriegsfreiwilliger. Er studiert evangelische Theologie und legt 1922 sein erstes theologisches Examen in Koblenz ab. Politisch denkt er konservativ national.

Von 1922 bis Mitte 1926 folgen Stationen in Dortmund, Soest, Berlin, Essen – und viele Krisen, auch Glaubenskrisen. In Dortmund arbeitet Schneider am Schmelzofen und lebt das Leben eines Arbeiters. Dann geht er nach Soest, in die zweite Phase seiner Pfarrausbildung. Durch diese Zeit ziehen sich Selbstzweifel und der Drang, mit Ernst Christ sein zu wollen. Am 4. Juni 1926 schreibt er in sein Tagebuch: „Gott, mein Gott, hältst Du mich denn fest?“ Zweifel sind wohl auch ein Wesensmerkmal von Märtyrern.

1926 heiratet Schneider Margarete Dieterich und wird auf die Pfarrstelle in Hochelheim und Dornholzhausen nahe Wetzlar berufen. Schon hier stellen sich die Weichen für seinen späteren Weg. 1932 spannt er mit einem gegenüber wohnenden Lehrer ein Transparent vom Pfarrhaus zum Haus des Lehrers mit der Aufschrift: „Wählt unseren Besten!“ Und jedem im Ort ist klar, dass damit nicht Adolf Hitler gemeint ist. Aus der anfänglichen Skepsis gegenüber Hitler und der NSDAP wird jedoch Begeisterung, als Hitler an die Macht kommt.

Zwar reagiert Schneider empfindlich, als der Staat über kirchliche Angelegenheiten bestimmen will (der Bürgermeister bestimmt, dass am 21. März, am Tag von Potsdam, die Glocken läuten sollen). Aber den mächtigen Bildern, etwa der Inszenierung des Treffens von Reichskanzler Hitler und dem alten Feldmarschall von Hindenburg am Grab Friedrichs des Großen, kann Schneider sich nicht entziehen. Dass sich so viele im Deutschen Reich von Hitler begeistern bzw. blenden lassen, steckt auch Schneider an. So berichtet er 1933, an welchem Ort er mit Freude den 20. April (Hitlers Geburtstag) verbracht hat.

Schneider besorgt sich Literatur über Hitler und ein Hitlerbild zum Aufhängen. Am 1. Mai 1933 wird in Hochelheim ein Festtag begangen, an dem man sich auch Hitlers Rede aus Berlin anhört. Schneider hängt Hitlerbilder im Ort auf, am Pfarrhaus hängt ein Hakenkreuz.. Als er die Rede Hitlers hört, fühlt er sich in seiner Begeisterung bestätigt. Er bejaht Hitler und seine Bewegung ohne Vorbehalte, spricht davon, dass sich Hitler bei seinen Reden vom Geist Gottes leiten lasse.

Schneider beginnt sogar Hitlers Buch „Mein Kampf“, das voll von Antisemitismus ist, mit großer Freude zu lesen. Doch im Herbst 1933 kommt es zum Bruch, zwischenzeitlich schon zu Spannungen. Konservativen und nationalen Gedanken gegenüber ist Schneider nicht abgeneigt. Doch den Hitlergruß lehnt er ab. Diese Weigerung sollte ihm später zum Verhängnis werden.

In vielen evangelischen Kirchen, auch in der Altpreußischen Union, der Kirche, in der Paul Schneider wirkt, bilden sich zwei Lager: „Deutsche Christen“, die Hitler unterstützen und von ihm unterstützt werden, und die werdende „Bekennende Kirche“, die im Rheinland am 17. Juli 1933 als „Rheinische Pfarrbruderschaft“ gegründet wird. Zur selben Zeit ist Pfarrer Schneider von einer Veranstaltung der Deutschen Christen so begeistert, dass er Mitglied wird und es seinen Kirchengemeinden sagt.

Schneider ist von Deutschen Christen erst begeistert gewesen

Doch schon bald merkt er: Es war ein Irrtum. Er war zu gutgläubig. Und auch das ist Schneider: Bereit, seine Meinung zu ändern, wenn er etwas als falsch erkannt hat. Er tritt wieder aus und sagt auch dies seinen Gemeinden. Gleichzeitig hören er und seine Frau noch im Oktober eine Hitlerrede mit großer Begeisterung. Anfang Oktober kommt es dann zu Konflikten mit der NSDAP.

Denn Pfarrer Schneider wendet sich gegen einen Artikel des SA-Chefs Ernst Röhm, in dem dieser konservative Christen als Mucker und Spießer bezeichnet, die nichts verändern würden. Für Schneider ist dies nicht hinnehmbar: Röhm irre sich und erweise dem Volk einen schlechten Dienst. Die Situation eskaliert. Bereits 1933 schreibt ein Beamter über Pfarrer Schneider: „Dieser Mann gehört in ein Konzentrationslager und nicht auf die Kanzel.“

Er wird beurlaubt. Sein Vorgesetzter sagt ihm, er habe Röhm total missverstanden und sich und die Kirche blamiert. Schneider ist hart getroffen. Soll er sich aus diesen Dingen heraushalten? Nach einigem Hin und Her sowie der Zusage Schneiders, sich in Zukunft aus der Politik herauszuhalten, darf er ab dem 20. Oktober 1933 wieder arbeiten, soll jedoch versetzt werden.

Aber er kann wieder nicht schweigen, als Reichsminister Josef Goebbels 1934 einen Aufsatz mit dem Titel „Mehr Moral, aber weniger Moralin“ veröffentlicht. Ähnlich wie Röhm wendet sich Goebbels gegen eine konservative Lebenseinstellung, nur noch heftiger als Röhm. Im nächsten Gottesdienst kritisiert Schneider Goebbels und die Deutschen Christen heftig. Außerdem verliest Schneider einen Protest der werdenden Bekennenden Kirche, die es sich nicht verbieten lassen will, sich im Gottesdienst zur Kirchenpolitik der Regierung zu äußern: Man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Als der Landrat davon erfährt, will er die Kirchenleitung zwingen, Schneider zu versetzen und zu suspendieren. Andernfalls werde er ihn verhaften. Schneider rudert ein wenig zurück. Er meint, dass es falsch gewesen sei, Goebbels namentlich zu erwähnen, und dass er den Aufsatz wohl zu tragisch genommen habe. Vermutlich lässt sich das auch mit Schneiders Respekt vor der Kirchenleitung begründen.

Es folgen weitere Beurlaubungen und schließlich wird er in den Hunsrück versetzt. Er findet viele gleichgesinnte Kollegen und Gemeinden, die zur Bekennenden Kirche hielten. Schneider wird Teil der Hunsrücker Pfarrbruderschaft, die sich gegen die staatliche Einmischung in die Kirche durch die Deutschen Christen wandte. Bis Mitte 1936 war Schneider kein Einzelgänger, sondern ein Pfarrer, der im Gespräch war.

Am 12. Juni 1934 kommt es zur ersten Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten. Schneider muss im Nachbarort eine Beerdigung halten. Am Grab kommt es zu einer Konfrontation mit Mitgliedern der Partei. Daraufhin wird Schneider für eine Woche in Haft (sogenannte Schutzhaft) genommen. Später wird ihm ein wesentlicher Teil seines Gehaltes gesperrt, weil er sich für einen anderen Pfarrer eingesetzt hatte. In dieser Zeit werden er und seine Familie von den Gemeinden versorgt.

An diesem Beispiel wird besonders deutlich, dass es Paul Schneider bei seinem Widerstand vornehmlich um Bereiche ging, bei denen sich der Staat in Belange der Kirche einmischte. Er wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Politik des Dritten Reichs, anders als Dietrich Bonhoeffer in späteren Jahren. Schneider ist Teil der Bekennenden Kirche (BK), dem Teil der Evangelischen Kirche, der sich gegen die Vereinnahmung der Kirche durch den Nationalsozialistischen Staat zur Wehr setzt.

Die BK verfasst Stellungnahmen, die von Pfarrern von den Kanzeln verlesen werden. Als die Behörden dies mitbekommen, drohen sie jedem, der dieses Wort verliest, mit Verhaftung. Bis auf Schneider und einen anderen Pfarrer unterschreiben alle Pfarrer in seiner Gegend daraufhin eine Verpflichtung, die Stellungnahme nicht zu verlesen. Schneider wird verhaftet und muss wieder für einige Tage ins Gefängnis. Als er an einer Reichstagswahl nicht teilnimmt, steht am nächsten Morgen an seiner Hauswand: „Er hat nicht gewählt. Vaterland?? Volk, was sagst du??!!“ Doch die Leute aus seinen Gemeinden kommen mit Schrubbern und Farbe und entfernen die Schmierereien. Eine weitere Verhaftung folgt.

In der Haftzeit wird er im Juli 1937 von staatlichen Stellen aus dem Gebiet seiner Kirchenprovinz, dem Rheinland, ausgewiesen und in Wiesbaden abgesetzt. Er setzt sich aber in den Zug und fährt zurück. Am 3. Oktober wird er auf dem Weg zum Erntedankgottesdienst in einer seiner Gemeinden verhaftet. Da er die Ausweisung aus seiner Kirchenprovinz und seinen Gemeinden nicht annimmt, kommt er ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar.

Von 1937 bis zu seinem Tod 1939 ist Paul Schneider im KZ Buchenwald. Als er sich am 20. April 1938 – dem Geburtstag Adolf Hitlers – beim Appell weigert, seine Mütze abzunehmen, beginnt für ihn ein Martyrium. Durch seine Reden aus der Arrestzelle kommt er zu seinem Ehrentitel „Der Prediger von Buchenwald“. Vielen spricht er durch seine Worte Mut zu. Den Lagerkommandeur bezeichnet er offen als „Massenmörder“. Schließlich wird er mit einer Spritze vergiftet, noch bevor der Zweite Weltkrieg ausbricht.

Als Dietrich Bonhoeffer vom Tod Paul Schneiders erfährt, sagt er zu seinen Nichten: „Den Namen dürft ihr nicht vergessen, Paul Schneider ist unser erster Märtyrer.“ Er hinterlässt seine Frau und sechs Kinder. Schneider hätte sich leicht retten können, indem er seine Kirchenprovinz verlassen hätte. Doch er sah sich an seine Gemeinden gebunden. War diese Entscheidung angemessen? Warum ging er diesen Weg?

Manchmal erscheint uns Paul Schneider als ein Fremder. Er lässt sich von niemandem und keiner Glaubensrichtung vereinnahmen. Und wenn man sich mit ihm beschäftigt, dann ist es bisweilen so, als stünde er einem fragend gegenüber: „Er steht uns gegenüber als ein Fremder, der uns fragt nach unserer Art, Christ zu sein: Was versteht ihr unter Glauben? Wie lebt ihr Nachfolge?“