Frei nach Ulla Hahn: Wie waren die 50er in Monheim wirklich?
Waren die 50er-Jahre wie in Ulla Hahns Roman beschrieben? Zeitzeugen tauschen sich jetzt über ihre Erinnerungen aus.
Monheim. Wie war es denn nun tatsächlich im Monheim Anfang der 1950er-Jahre? Das Städtchen hatte um die 9000 Einwohner. Aber wie lebten sie? Trifft Ulla Hahns Buch „Das verborgene Wort“ wirklich den Kern? Oder sind es Aussagen einer Exzentrikerin? Fragen über Fragen. Am Freitagabend versuchten acht Zeitzeugen, die mit der Schriftstellerin von 1951 bis 1955 zur damaligen Volksschule — heute Lottenschule — gegangen sind, Antworten zu geben. Organisiert hatte das Ganze unter dem Titel „Monheim gestern und heute“ die Initiative „Frauen plus für Monheim“, ein Kreis für politische Gestaltung. Aber so viel vorab: Der zentralen Aussage aus „Das verborgene Wort“ kam man an dem Abend nicht wirklich nahe. Die düster beschriebene Enge der jungen deutschen Adenauer-Republik wurde nur in Ansätzen thematisiert. Vielleicht hatte das ja auch jeder für sich völlig unterschiedlich empfunden. Aber auch das wurde nicht klar.
Verschiedene Passagen aus dem Buch sollten als Vorlage dienen, um über die Zeit zu sprechen. Es wurde zum Beispiel die Romanepisode der Einschulung vorgetragen. Und die Erzählungen mancher Zeitzeugen kamen dieser Romanstimmung noch am nächsten. Da erinnerte sich etwa Bernhard Bormacher an den Lehrer Schulten. „Der war nicht so liebevoll, wie im Buch beschrieben. Der hatte seine Lieblingsschüler. Aber der konnte auch ganz anders“, erinnerte sich Bormacher. „Der konnte ganz schön fies sein“, sagte Irene Szepan. „Und da war der Pfarrer: Einmal in Wut, hat der mit allem geschlagen, was ihm gerade unter die Finger kam“, stimmte Wolfgang Schulte ein.
Auch witzige Anekdoten fehlten nicht. So kamen die Zeitzeugen beim Thema „Lesen“ (im Buch spielt es eine zentrale Rolle) auch aufs Fernsehen zu sprechen. Oder besser auf die Tatsache: Zu der Zeit hatte kaum jemand einen Fernseher. „Allein schon deshalb haben wir viel gelesen“, erzählte Ex-Bürgermeister Hans-Dieter Kursawe. Und die Runde erinnerte sich: Beim Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1954, Deutschland gegen Ungarn, war halb Monheim in der Festhalle Bormacher. Da stand ein kleiner Fernseher.
Die Besucher im gut gefüllten Schelmenturm, die das damalige Monheim nicht kannten, erfuhren noch einige aus heutiger Sicht amüsante Dinge. So wohnten zum Beispiel — im Buch detailliert beschrieben — in der so genannten Siedlung die „Müppen“. Heute würde man sie als Asoziale beschimpfen. Ironie der Geschichte: Wo ehemals zwischen Königsberger Straße und Brückenschleeweg eher ärmere Familien lebten, ist heute eine der begehrtesten Wohnlagen Monheims.
Außerdem wurden die Kartoffelferien, heute schlicht die Herbstferien, wieder lebendig. „Die Bauern kamen in die Schulen und fragten, wer bei der Ernte der Kartoffeln helfen wollte“, erzählte Klaus Peters — und die anderen stimmten ein. Sie waren sich einig: Irgendwie war es eine schöne Zeit. Man habe mit den andern Kindern immer auf der Straße gespielt. Und die Nachbarn seien nett gewesen. Bis Wolfgang Schulte dann einwarf: „Aber wir mussten auch auf der Straße spielen. In den kleinen Wohnungen war kein Platz.“
Das Publikum wurde einbezogen. Es kam zum Teil zu lebendigen Dialogen. Bei manchen kamen Erinnerungen an die eigene Kindheit — zum Teil ganz woanders gelebt — hoch. Und Ausstellungsstücke wie altes Geschirr und Tischdecken oder Fotos aus dem Stadtarchiv ließen die Uhren tatsächlich rückwärts ticken. Mit diesem Gefühl — einem Schuss Nostalgie — gingen die Leute schließlich nach Hause.