Monheim: Ein Küsschen für die Gänseliesel

Brauchtum: Auch Göttingen besitzt eine Liesel. Dort hat die Dame absoluten Kult-Status.

Monheim. Wer kennt sie nicht, die Gänseliesel mit dem güldenen Haar und dem unschuldigen Blick? Seit vielen Jahren ist sie Wappenzeichen Monheims und fristet ihr Dasein gleichwohl als Brunnenfigur vor dem Rathaus-Center. Doch dieses Heimrecht behält sie sich nicht nur für Monheim vor. Eine etwas andere Position als die des traditionellen Spielmannsweibs hat sie in der Universitätsstadt Göttingen.

Dort ist sie seit 1901 das, was der Eiffelturm für Paris und das Brandenburger Tor für Berlin ist: Wahrzeichen und Huldigungsobjekt - denn sie wird gleich von dutzenden Männern pro Jahr geküsst.

1898 hatte Göttingen zur Neugestaltung des Marktbrunnens ausgeschrieben. Die Jury setzte den Entwurf "Gänsemädel" nur auf den zweiten Platz, aber die eigensinnigen Göttinger stellten trotzdem das Mädchen als Brunnenfigur auf. Der Legende nach soll ein Mädchen Modell gestanden habe, das als Gänsehüterin in bitterer Armut lebte.

In Göttingen - als Universitätsstadt seit je her bekannt - bezogen vor allem die Studenten den Brunnen in ihr Brauchtum ein. In der Literatur heißt es: "Jeder neu immatrikulierte Student musste dem ‚Gänseliesel’ seine Aufwartung machen, woraus sich sehr bald die Pflicht entwickelte, auf den Brunnen zu klettern und die junge Dame zu küssen. Da der Brunnenrand immer etwas feucht und glitschig ist, nahmen zahlreiche Musensöhne ein unfreiwilliges Bad."

Da aber nach dem ersten Weltkrieg die Zahl der Studierenden stark anstieg, herrschte in so mancher Nacht reges Treiben auf dem Marktplatz. Im Jahre 1926 sah sich die örtliche Polizei deshalb dazu veranlasst, das Erklettern des Brunnens und das Küssen der Gänseliesel unter Strafe zu stellen. Den trotzigen Studenten aber war das egal, sie küssten weiter.

Noch im selben Jahr erwischte man Graf Henkel von Donnersmarck, späteres Mitglied des Deutschen Bundestages, bei genau jener verbotenen Handlung. Der damalige Jurastudent zog bis vor das Berliner Kammergericht, was als der "Göttinger Kuss-Prozess" in die Geschichte einging. Den Prozess gewann er nicht, doch immerhin führten frisch gebackene Doktoren die Kuss-Tradition bis heute fort und bescheren der Gänseliesel den Ruf als "meistgeküsste Jungfrau der Welt".

Zum 100. Geburtstag endlich wurde das nie eingehaltene Kussverbot vom Rat der Stadt aufgehoben - aber nur für einen Tag. Bis heute ist dieser Paragraph in den Göttinger Stadtgesetzen verankert.

Eines hat die Göttinger Gänselieseltradition jedoch mit dem Monheimer Pendant gemein: Jedes Jahr wird eine lebendige Gänseliesel gewählt, sozusagen die "Miss Göttingen", so wie am Rhein jährlich die bessere Hälfte des Spielmanns gesucht wird. Während die Monheimer Liesel aber stolz über den Rhein gebracht wird, hat die Göttinger Maid regelmäßig eine ganz andere Aufgabe: Enten verkaufen für das traditionelle Entenrennen.