Initiative Zuhören.Draussen in Ratingen und Düsseldorf Aussprechen statt hineinfressen
Ratingen · Sich zu öffnen, fällt vielen Menschen enorm schwer. Auf die Frage „Wie geht’s dir?“ antworten sie selten ehrlich. Aber eine hilfreiche Nachbarin aus Ratingen kann ihnen etwas Last abnehmen.
(yra)Die Zeiten sind hart. Trump triumphiert in den USA, die Ampel bricht auseinander, und privat könnte es auch besser laufen. Aber am besten mache ich das mit mir selbst aus, so ist es schließlich noch immer gut gegangen. Der Rucksack auf den Schultern wird von allein leichter werden. Mit dieser Einstellung laufen viele durch ihr Leben.
Führt dieser Weg am Ratinger Marktplatz vorbei, werden sie von einem freundlichen Lächeln angehalten. Susanne Korff hält mit beiden Händen ein Schild mit einem orangenen Herzen: „Ich höre Dir zu“ steht da. Damit bringt sie sogar die dickste Fassade zum Bröckeln. Korff will das Miteinander und den Zusammenhalt in ihrer Wahlheimat stärken.
Wie jeden zweiten Mittwoch steht sie mit zwei anderen Zuhörerinnen an der frischen Luft – und bietet ihre Ohren an. „Ich kann es selbst kaum glauben, dass ich schon seit zwei Jahren in Ratingen zuhöre“, sagt die 64-Jährige. Sie weiß, welche Themen ihre Ratinger Nachbarn nicht schlafen lassen: Gesundheit, Familie und Liebe sind die drei ärgsten Beschwerden. Aber auch Zukunftsangst und politische Spannungen treiben die Menschen um: „Mit der politischen Situation sinkt die Stimmung“, so ihr Blick auf die Schilderungen der Passanten.
Die soziokulturelle Initiative Zuhören.Draussen wurde 2021 von Gründerin Christine von Fragstein ins Rollen gebracht. In der Corona-Pandemie wollte sie ein Zeichen gegen die aufkeimende Einsamkeit der Bevölkerung setzen. Ihr erster Standort Düsseldorf hat mehr als 50 Prozent Single-Haushalte und sehnt sich nach Austausch. Ihr Impuls war es, dass Menschen ihre Sorgen und Nöte rauslassen können. Der große Wunsch nach Zuneigung soll gestillt werden.
Im Vordergrund des Projektes stehen die Bekämpfung von gesellschaftlicher Spaltung und die Abnahme von Einsamkeit. Stellvertretend dafür werden Zuhörer in Ratingen auf die Straße geschickt, die sich mit Ängsten und Gedanken der Einwohner auseinandersetzen. Es sei faszinierend, was den Leuten im Kopf herumschwirrt. Korff bevorzugt die zufälligen Begegnungen: „Auf der Straße kriege ich die, die ich sonst nicht kriege“. Es gehe ihr darum, die volle Bandbreite der Gesellschaft zu erleben, ungeschminkt, gehetzt, ehrlich. Die Situation unter freiem Himmel begünstigt spontane Gefühlsausbrüche, die von den Zuhörern abgefangen werden. In einer regulären zweistündigen Veranstaltung in den Innenstädten von Ratingen, Düsseldorf, Bonn, Dinslaken und Ingolstadt führen sie laut Korff zehn bis zwölf Gespräche.
Dabei legt das Projekt keinen Wert auf Bewertung der gehörten Inhalte. Sie agieren konfessionslos, unabhängig und ohne zu verurteilen. Beim Zuhör-Angebot werden keine Ratschläge erteilt oder Lektionen gegeben. „Es ist mehr ein Monolog als ein Dialog“, bestätigt Korff den Redeanteil. „Es ist eine Bereicherung für mich, dass ich der fremden Person den Platz gebe – und mich selbst zurücknehme.“ Das simple Öffnen, allein die Gelegenheit des ehrlichen Austauschs, gebe den Passanten sehr viel.
Inzwischen sind eine Vielzahl von Institutionen wie der NRW-Landtag und die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf auf Zuhören. Draussen aufmerksam geworden. Susanne Kroff schiebt an, wo sie nur kann. Bereits im nächsten Jahr soll es Vorträge an Schulen geben, noch mehr soziale Projekte – und im besten Fall noch mehr Zuhörer. Geplant ist zudem eine Ausweitung in weitere Ratinger Stadtteile wie Ost oder Lintorf.
Einer, der auf den Geschmack gekommen ist, ist Johannes Weiß. Der Neuling steht fröhlich grinsend zum ersten Mal mit seinem „Ich höre dir zu“-Schild in der Ratinger Innenstadt. Er feiert heute seine Premiere: „Zuhören kann ich gut, ich bin schon sehr lange verheiratet“, sagt der Geschäftsführer einer Seniorenbetreuung lachend. Für ihn geht es darum, dass er Fremden aus seiner Stadt ein offenes Ohr schenkt – und für andere da ist. Dafür bringt er zwei bis drei Stunden im Monat auf, die ein Termin in etwa beansprucht. Dazu besucht er Einführungsseminare, die den Interessierten den richtigen Umgang mit dem Gehörten beibringen. „Vertrauen schenken ist das wichtigste. Die Menschen müssen sich öffnen können“, sagt Korff.