Bambi ist kein Streicheltier

In den nächsten Tagen werden auf Ratinger Gebiet wieder viele Rehkitze geboren. Anfassen bedeutet für das Rehkitz den sicheren Tod. Spaziergänger streicheln es und hinterlassen dabei ihren Geruch an dem Fell. Die Elterntiere verstoßen daraufhin ihre Jungen.

Ratingen. Große, dunkle Kulleraugen, zartes Fell, tapsiger Gang - für viele Menschen sind junge Rehe der Gipfel der Niedlichkeit. Wer eines findet, vielleicht bei einem Spaziergang am Waldrand, wie es ängstlich im hohen Gras kauert, wird es streicheln wollen. Doch wer es berührt, richtet unweigerlich ein Drama an.

Volker Springer, Hegeringleiter für das Angerland, hat die Folgen der menschlichen Streichel-Wut schon gesehen. Grausige Funde hat er gemacht, ausgemergelte Rehkitze, kraftlos und vertrocknet, manchen war nicht mehr zu helfen. "Das hat geprägt", sagt er nachdenklich. Seitdem warnt der Jäger jedes Jahr eindringlich: "Lassen Sie die Kitze am besten unberührt an ihren Lagerstätten."

Der Hintergrund ist ein Mechanismus der Natur, der die Tiere eigentlich schützen soll: Die Rehkinder besitzen sie in den ersten Lebenstagen keinen Eigengeruch. So können Füchse und andere Feinde sie nur schwer aufspüren.

Die Jungen bewegen sich in dieser Zeit kaum vom Lager weg und werden von ihren Müttern nur zum Säugen aufgesucht. Hinzu kommt die zweite verhängnisvolle Überlebensstrategie, das Ducken: Bei Gefahr flüchten die Jungtiere nicht, sondern drücken sich so nah wie möglich an den Boden.

Spaziergänger, die auf ein Kitz treffen, interpretieren das vielleicht als Zutraulichkeit, streicheln es und hinterlassen dabei ihren Geruch an dem Fell. Die Elterntiere verstoßen daraufhin ihre Jungen. Springer: "Das bedeutet für das Jungwild den sicheren Tod."

Es gibt noch eine andere Gefahr, vor der die Jäger die Rehe zu schützen versuchen: Wenn dieser Tage die Felder gemäht werden, fallen viele Jungtiere dem Mähwerk zum Opfer.

"Wir werben deshalb für ein neues Verfahren der Acker- und Wiesenbearbeitung", erklärt Springer. Statt, wie bisher üblich, die Felder von außen nach innen zu bearbeiten, sollen die Landwirte genau anders herum vorgehen. So haben die Tiere die Chance, unter natürlicher Deckung zu fliehen.

Nur den Rehkitzen hilft das nicht - die ducken sich schließlich bei Gefahr. Die Jäger helfen deshalb etwas nach und stellen am Abend vor dem Mähen flatternde Scheuchen oder Plastiktüten an die Feldränder. Springer: "Die Ricken misstrauen der bewussten Störung und bringen das Jungwild an einen sicheren Ort."

Wenn selbst das nicht ausreicht, greifen die Jäger direkt ein, spüren die Kitze mit Hunden auf und bringen sie Tier für Tier aus der Gefahrenzone. Natürlich nicht mit bloßen Händen, sondern geruchssicher in Gras gebettet.