Ratingen: Reiner Kunze: ein eigensinniger Poet
Der Literat erklärte Lintorfer Gymnasiasten sein Verständnis von Lyrik.
Ratingen. "Das Vormittagsprogramm mit den Kleinen war ein Dressurakt, da bin ich halbtot. Das jetzt ist ein Vergnügen für mich", lobte Reiner Kunze die Schüler der Klassen neun bis 12 am Ende des anderthalbstündigen Werkstattgesprächs. Sie alle hatten sich in der Aula des Kopernikus-Gymnasium versammelt, um den berühmten Literaten und DDR-Dissidenten treffen und ausfragen zu können.
Bereits vor zehn Jahren war Kunze an gleicher Stelle Gast gewesen. Gebannt lauschten die Teenager seinen Ausführungen über zwei Motive - den Weg säumenden Pappeln und einer Dorfkapelle mit blankgescheuerten Kniebänken -, die er in einem Gedicht mit dem Titel "Lied" verknüpfte.
Nach dem Vortrag wollten die Schüler wissen, warum Kunze denn auch Substantive in seiner Lyrik klein schreibe. "Vor 45 Jahren war ich der Meinung, dass die Kleinschreibung, wie im Tschechischen und Englischen üblich, eine Vereinfachung sei." In dieser Form verfasst er noch heute seine Lyrik. Prosa dagegen schreibt er nach der "richtigen alten Rechtschreibung".
Dann gab es Nachfragen à la "Was bedeutet das Gedicht eigentlich?". "Wenn ich könnte, würde ich die Frage Was will uns der Dichter damit sagen?’ verbieten", sagt Kunze. Ebenso wie die oft fatale Einstellung von Deutschlehrern, ein Gedicht um jeden Preis interpretieren zu müssen. "Gedichte lassen sich nicht auf einen einzigen Gedanken reduzieren" und "nicht jedes Gedicht ist in jedem Augenblick für Jedermann gemacht", waren seine feinsinnigen und heftig von den Schülern beklatschten Einlassungen zum Thema.