Wülfrath: Winterberg redet Tacheles
Der Leiter der Realschule fand bei der Abschlussfeier kritische Worte – und steht dazu.
Wülfrath. Eigentlich sind Entlassfeiern nicht der Ort, an dem man kritische Worte gewohnt ist. Es wird noch mal zurückgeblickt, womöglich mit einem Augenzwinkern und zwischen den Zeilen mit einem Wink an die nun ehemaligen Schüler, sich in der Zukunft ein bisschen mehr ins Zeug zu legen.
Dazwischen gibt es die besten Wünsche für den Lebensweg. Als Realschulrektor Frieder Winterberg (55) bei der Feierstunde seiner Zehntklässler plötzlich ganz andere Töne anschlug, durfte man durchaus hellhörig werden.
Von einer poppigen Freizeit der heutigen Schülergeneration ohne Nährwert und mit dem besonderen Extra war die Rede. Davon, dass sich viele Schüler in Sachen Wissen mit einem "Ausreichend" zufrieden geben. Und von Kaugummi kauenden Vätern mit Baseballkappe beim Lehrergespräch - im Schlepptau ihre Kinder, denen es an Gefühl für die Autorität des Lehrers mangelt.
Was um Himmelswillen mag den Rektor dazu bewogen haben, eine solche Rede zu halten? Die Theodor-Heuss-Realschule hat über die Stadtgrenzen hinaus einen guten Ruf. Wäre es da nicht besser, einfach stillzuhalten und den Mantel der Verschwiegenheit über der Sache auszubreiten? Wer Winterberg kennt, der weiß, dass der Schulleiter vor klaren und offenen Worten nicht zurückweicht.
Und wer ihm zugehört hat, dem wurde eines ziemlich schnell klar: Es ging nicht um die Entlassschüler und auch nicht um die Wülfrather Realschule. Es geht um die Probleme einer ganzen Generation von Schülern, Eltern und Lehrern. "Nach der Feier sind Mütter und Väter zu mir gekommen und haben mir gesagt, dass ich ihnen aus der Seele gesprochen habe", erzählt Winterberg. Und einige von denen, die einfach nur zugehört haben, werden noch lange über seine Worte nachgedacht haben.
Poppig, bunt und ohne Nährwert: Die meisten Eltern wissen vermutlich sehr genau, wie sich dieser Anspruch ihrer Kinder an das Leben anfühlt. "Mit coolen Sprüchen andere Leute durch den Kakao zu ziehen, beschert einem ja auch hohe Einschaltquoten", spricht Winterberg die medialen Seifenopern an.
Dass es im realen Leben nicht anders zugeht, wundert ihn nicht. "Die Probleme erleben wir dann im Alltag". Sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und sich nach dem Ellenbogenprinzip durchsetzen zu wollen, seien eines der größten Probleme der heutigen Schülergeneration.
Dass es auch noch Eltern gibt, die ihre Kinder "um jeden Preis raushauen", liegt ihm ebenso schwer im Magen. "Deshalb setzen wir uns hier gemeinsam an den Tisch, um die Sache zu klären", erzählt er aus dem Schulalltag der Realschule, in dem das Miteinander im Mittelpunkt steht. Die Eltern mit ins Boot zu holen, ist ihm ein wichtiges Anliegen.
Dass Mütter und Väter manchmal den Kopf nicht frei haben, weil sie selbst zwischen beruflichen Anforderungen und Familienleben zerrissen werden, weiß Winterberg. Dass man immer versuchen sollte, den Kontakt und die Auseinandersetzung mit den Kindern zu suchen, hält er dennoch für wichtig. "Man kann Grenzen setzen und trotzdem nah bei den Schülern sein", sagt Winterberg und nimmt so sich und sein Lehrerkollegium in die Pflicht.
Als Vater von vier erwachsenen Kindern weiß er, dass es nicht klug ist, sich dem jugendlichen Lebensstil zu sehr anzunähern. Und dass man frühzeitig Grenzen setzen muss, damit den Eltern die Kinder und den Lehrern die Schüler später nicht über Tische und Bänke springen. Dass man warmherzig sein kann und trotzdem verbindlich."Mein Ziel ist es, irgendwann jeden einzelnen Schüler zu kennen." Man spürt, dass er damit keineswegs nur den oberflächlichen Blick des wachsamen Schulrektors meint.