Kempen/Krefeld Anwalt aus Kempen: Justiz in Krefeld steht still
Der Kempener Anwalt Wolfgang Lochner erhebt Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft Krefeld. Deren Sprecher räumt personelle Probleme in den Geschäftsstellen ein.
Kempen/Krefeld. Wolfgang Lochner ist seit 30 Jahren Strafverteidiger. Es ist also davon auszugehen, dass der Kempener im Umgang mit Gerichten und Staatsanwaltschaften schon eine ganze Menge erlebt hat. „Den Zustand, den wir seit etwa einem Jahr im Raum Kempen und Krefeld haben, habe ich in meiner ganzen Karriere noch nicht erlebt“, sagt Lochner mit Blick auf die Arbeitsweise der Krefelder Staatsanwaltschaft. Nach Angaben des Rechtsanwalts bleiben unzählige Verfahren auf der Strecke. „Die Verschleppung von Verfahren durch die Staatsanwaltschaft ist katastrophal geworden. Das ist ein Stillstand der Justiz.“
Nach eigenen Angaben kann der Strafverteidiger seine Vorwürfe mit Zahlen untermauern. Demnach habe es in früheren Jahren am Hessenring in Kempen pro Jahr zirka 120 Verhandlungen beim Jugendschöffengericht gegeben. „2016 waren es nur zirka 60. Und in diesem Jahr sind wir derzeit bei zirka 30 Zugängen“, so Lochner im Gespräch mit der WZ. „Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es einen so drastischen Rückgang bei den Straftaten von Jugendlichen, — was ja erfreulich wäre —, oder die Staatsanwaltschaft bringt es in vielen Fällen nicht bis zu einer Anklage“, sagt Locher und fügt hinzu: „Ersteres ist ausgeschlossen.“ Der „Flaschenhals“ sei die Staatsanwaltschaft.
Der Kempener Anwalt steht nach eigenen Angaben mit seiner Sorge nicht alleine da. Nahezu alle Beteiligten, die mit Strafsachen beschäftigt sind, sähen das Problem: Gerichte, Jugendgerichtshilfe, Drogenberatung, Bewährungshilfe. Aus Kreisen dieser Organe hat die WZ Lochners Informationen auch bestätigt bekommen. Alle angefragten Gesprächspartner wollen aber offiziell nichts zum Thema sagen.
„Dass es zu weniger Verfahren kommt, kann ich nicht bestätigten“, sagt Axel Stahl, Sprecher und stellvertretender Leiter der Krefelder Staatsanwaltschaft, auf Anfrage. Der Oberstaatsanwalt räumt allerdings „erhebliche personelle Probleme“ ein. Konkret gebe es in der Krefelder Behörde eine personelle Unterdeckung im Bereich der Geschäftsstellen. Der sogenannte Unterstützungsbereich für die Staatsanwälte sei schon „seit geraumer Zeit“ zahlenmäßig nicht ausreichend besetzt. Verschärft werde die Situation durch Elternzeiten, Mutterschutz oder Krankheiten.
„Aber wie schon gesagt: Die Probleme führen meiner Ansicht nach nicht dazu, dass es weniger Verfahren gibt“, ergänzt Stahl. Es könne lediglich zu zeitlichen Verzögerungen kommen. Aufgrund der personellen Probleme könne es zu einer längeren Verweildauer der Akten kommen.
Dass es in Krefeld im mittleren Dienst der Geschäftsstellen Probleme mit der personellen Ausstattung gibt, sei den übergeordneten Dienststellen bekannt. „Die Generalstaatsanwaltschaft in Düsseldorf wird regelmäßig über den Stand in Kenntnis gesetzt“, so Axel Stahl.
Wolfgang Lochner, der im Kreis Viersen ein anerkannter Verteidiger in Jugendstrafsachen ist, kann die von Oberstaatsanwalt Stahl beschriebenen „Verzögerungen“ bestätigen. „Wenn dann doch einmal eine Anklageschrift eines der Gerichte erreicht, liegen die angeklagten Taten oftmals zwei Jahre zurück“, so Lochner. Insbesondere in Jugendstrafsachen sei diese Entwicklung fatal. „Denn die Strafe beziehungsweise die erzieherische Maßnahme soll doch auf dem Fuße folgen.“
Lochner habe viele Beispiele für solche Verzögerungen. „Ich vertrete einen jungen Mann in einem seit Anfang 2016 laufenden Ermittlungsverfahren. Er ist psychisch krank und braucht deshalb dringend Hilfe“, erklärt Lochner die Ausgangslage in diesem Fall. Seit Sommer 2016 gebe es keinen Fortschritt. Seit Monaten warte er auf die Zusendung eines psychiatrischen Gutachtens durch die Staatsanwaltschaft. „Vom Gutachter selbst weiß ich schon, dass er das Gutachten im Mai fertiggestellt hat. Aber bei mir kommt nichts an.“
Wolfgang Lochner will diesen Zustand „nicht mehr länger hinnehmen“. Zum einen, weil die Rechtspflege so nicht mehr ordnungsgemäß funktioniere, zum anderen, weil auch die Arbeit des Rechtsanwalts nachhaltig behindert werde. „Wir Anwälte sind das letzte Glied in dieser Kette. Wenn Verfahren so überlange dauern, wird das von den Mandanten letztlich uns angelastet.“
Nun ist Lochner nicht nur Anwalt, sondern auch Vorsitzender der FDP im Kreis Viersen. Als solcher hat er bereits den Kontakt zu „seinem“ Landstagsabgeordneten Dietmar Brockes aufgenommen. Dieser werde das Thema mit „höchster Priorität“ in die Landespolitik tragen. „Bisher hat die Politik den Fokus nur auf die Engpässe bei der Polizei gerichtet. Die Lage bei der Justiz ist aber wohl mindestens genauso prekär. Hier besteht also auch für die neue Landesregierung dringender Handlungsbedarf“, sagt der Kempener Kommunalpolitiker.
Hoffnung setzt Lochner in die Tatsache, dass mit dem FDP-Mann Dirk Wedel ein ehemaliger Richter nun Staatssekretär im NRW-Justizministerium ist. Mit ihm will der Kreisvorsitzende nun auch direkt in Kontakt treten. „Wir müssen das Thema jetzt politisch aufgreifen. Denn meines Erachtens ist die Problematik als skandalös zu bezeichnen.“