Redaktion vor Ort Ein Besuch am verbotenen Baggersee in Kempen
Politik, Verwaltung und Polizei sind sich einig — der Baggersee in Kempen ist nicht zum Schwimmen da. Doch was sagen die Badegäste? Ist die Stimmung dort wirklich so aggressiv? Wir haben uns vor Ort umgehört.
Kempen. Ordnungsbeamte werden bespuckt, „Vandalen“ brechen Zäune auf, es wird falsch geparkt und die Natur zugemüllt — wenn Politik und Verwaltung die Situation rund um Königshütte-See beschreiben, bekommt man fast den Eindruck, Kempen hat es hier mit einer Art „No-Go-Area“ zu tun. Aber herrscht dort wirklich so eine aggressive Grundstimmung. Eine Umfrage vor Ort zeigt, gefährlich könnte vor allem der Leichtsinn einiger Badegäste werden.
Zumindest wenn es nach Lothar Messerschmidt geht. Der Vorsitzende der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) in Kempen warnt: „Das Baden in dem Baggersee ist sehr gefährlich.“ Der See in der ehemaligen Kiesgrube der Firma Klösters sei zirka 25 bis 28 Meter tief. Nicht sichtbare Unterwasserströmungen, Wasseradern und ein Temperatursturz von zehn Grad ab zwei Meter Tiefe machen das Gewässer nach Messerschmidt lebensgefährlich.
Vor Ort scheint das nicht allen Besuchern bewusst zu sein. Es ist einer dieser schwülen Hitze-Nachmittage. Das massive Tor, das wohl mit schwerem Gerät aufgebrochen worden ist, ist provisorisch mit Eisenketten und einem Stück Stahlzaun geflickt worden. Das hält die Badegäste nicht ab. Auf dem Seitenstreifen stehen gegen 16 Uhr gut ein Dutzend Fahrzeuge geparkt. Darunter auch einige mit Krefelder oder Monheimer Kennzeichen. Am Zaun, der eigentlich ungebetene Gäste von dem renaturierten Gelände fern halten soll, stehen zahlreiche Fahrräder abgeschlossen. Gut hundert Meter weiter in Richtung Hüls ist ein weiterer „Durchbruch“. Den haben auch drei junge Männer aus Kempen genutzt. Sie seien erst zum zweiten Mal hier.
Sonst würden sie eher die Blaue Lagune in Wachtendonk besuchen, aber das Schwimmen im Baggersee in Kempen sei schon „geil“, sagt einer der drei. Ob es auch aggressive Besucher gibt? Manche seien „assi“, aber schlimmer sei der Müll, der einfach liegengelassen werde. Letzterer ist nicht zu übersehen.
Liegt er doch direkt auf dem Weg zum „illegalen Badeparadies“. Auf einem großen Haufen liegen Pizzakartons, Plastikmüll und sonstige Hinterlassenschaften. „Die sollten hier schon das Ordnungsamt reinlassen und dafür Geldbußen verteilen“, meint einer der jungen Kempener.
Wenn sich der Blick vom Abfall löst, wird schnell verständlich, warum der Baggersee ein beliebter Ort ist: Auf dem künstlich aufgeschütteten Damm sitzen die Besucher mitten im Baggersee. Auf der einen Seite drehen ein paar Boote vom Segelclub ihre Runden, auf der anderen ist nichts zu sehen außer Wasser und der grüne Uferbewuchs. Über die ganze Länge haben es sich die Badegäste in Grüppchen gemütlich gemacht. Zu sechst sitzen Schüler aus Hüls beisammen. „Hier ist jeder für sich und es ist nicht so eng wie im Freibad, sagt eine Jugendliche. Es gebe auch Besoffene, die sich daneben benehmen, aber im Prinzip sei hier „alles ganz friedlich“.
Das unterstreicht Polizeisprecher Wolfgang Goertz. Ihm sei nicht bekannt, dass die Polizei am Baggersee „vermehrt angegangen“ wird. Die Situation sei nicht schlimmer als an vergleichbaren Baggerseen im Kreis Viersen. Auf dem Gelände dürfe die Polizei nur nach Anzeige Streife laufen. 2016 habe es sechs Anzeigen gegeben. Unter anderem wegen Hausfriedensbruch, einer Baumfällung, Sachbeschädigung und Diebstahl. 2017 sei die Beschädigung eines Stahlmattenzauns angezeigt worden. „Es ist keine No-Go-Area“, betont Goertz — man habe die Situation im Blick.
„Im Freibad ist man eingepfercht, hier hat man schöne Natur“, sagt ein Besucher am Baggersee, der sich nicht von der Umzäunung des Geländes beeindrucken lässt. Dass die Gefahr bei einem unbeobachteten Baggersee mitschwimmt, scheint ihm wenig auszumachen. „ich war schon seitdem ich 13 bin in Baggerseen und lebe immer noch“, sagt er.
Die „ruhige Atmosphäre, die Natur und das es kostenlos ist, lockt auch drei 16-Jährige aus Kempen regelmäßig an den See. Sie haben sich ein Plätzchen mit ein bisschen Sand gesucht. Mitten auf dem Damm weht ein leichter Wind, die Sonne reflektiert im Wasser. Da kann schnell auch der Leichtsinn aufblitzen — oder? „Nein, wir schwimmen extra nicht weit raus“, sagt einer der Jugendlichen. Die politische Diskussion um den See habe er verfolgt. Dass sich die Leute mit Kontrollen und Knöllchen davon abschrecken lassen, den Baggersee aufzusuchen, könne er sich nicht vorstellen. „Wir haben noch nie gesagt bekommen, dass wir weg sollen. Wenn das passieren würde, würden wir das natürlich machen.“
„Ich würde gerne Eintritt zahlen“, sagt ein älterer Krefelder, der die Nachmittagssonne mit seiner Frau genießt. „Die Blaue Lagune hat auch klein angefangen, hier könnten richtig Arbeitsplätze entstehen“, ist er überzeugt. Das Gelände sei „traumhaft“, sagt seine Frau. Es sei nur traurig, dass es vermüllt wird. Das Publikum sei gemischt. Da gebe es durchaus auch mal Leute, denen bei der Hitze das Bier in den Kopf steige, aber eine extreme Aggressivität sei dem Paar noch nicht begegnet. Dafür habe das Paar bei einem Familienausflug zum Baggersee mit den Kindern eine Knolle für 30 Euro bekommen. „Unverschämt“, sagt die Krefelderin, der durchaus bewusst sei, dass sie Hausfriedensbruch begeht. Das Fahrzeug habe schließlich nicht im Weg gestanden.
Geärgert haben sich wohl einen Tag nach dem WZ-Besuch viele der Badegäste am „verbotenen Baggersee“. Am Mittwoch wurden 67 Knöllchen wegen falsch geparkter Fahrzeuge verteilt. Zwei illegale Badegäste seien erwischt worden, teilte die Polizei mit.