Hinsbeck: Auch Liebe kann erdrücken

Günter Gerhard Reuschel aus Hinsbeck schreibt seit 40 Jahren Gedichte. Die schönsten Verse hat er jetzt in einem Buch veröffentlicht.

Hinsbeck. Immer wieder die Liebe! "Ich kenne jede Falte deiner Haut", gesteht der Mann, "du bist mir so vertraut". Sehnsucht kommt auf: "Berühren, umarmen, sich schmecken", danach drängt es ihn.

Wer da so romantisch schwärmt, das kann nur ein Dichter sein. Ist auch einer: Günter Gerhard Reuschel heißt er, lebt in Hinsbeck und hat mit 57 Jahren seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Titel "Wer schwimmt schon gern im Tränenmeer?".

100 Stücke hat Reuschel zusammengestellt, "eine Auswahl aus 400 Stücke aus 40 Jahren", sagt er. Gedichte aus dem Leben, über das Leben, für das Leben. Er dichtet über die Liebe, klar. Über die so typisch menschlichen Schwächen, etwa vom Plappermaul, das ganz vergisst zu fragen, wie’s dem anderen geht. Über Trennung und Hoffnung, über Flüchtlinge, Vorurteile - und über Aids.

Einsam liegt der Kranke im Bett: "Bin längst vergessen." Die Regentropfen am Fenster erinnern ihn an "nie um mich geweinte Tränen." Das Gedicht "Station MXI (HIV)" klingt bedrückend, lebensecht. Aus gutem Grund, wie Reuschel erzählt: "Ich lag 2002 selbst todkrank in einer Klinik, in der auch schwerkranke Aids-Patienten waren, war sehr betroffen."

Um Gefühle geht es in vielen Gedichten, um den Abschied von der Mutter, um Freude aufs Wiedersehen. Reuschels Stärke liegt in Sinnbildern- mit Blick fürs Detail: Moos auf alten Mauern erinnert an den ersten, fast vergessenen Kuss, hastig hingelegte Kränze an bestellte, verlogen wirkende Trauer. Er hadert mit der Willkür der Worte: "Nachher war alles ganz anders, doch etwas bleibt immer", heißt’s im Gedicht "Gerücht".

Reuschels Buch ist schlicht, ohne störenden Schnickschnack, die Texte stehen im Vordergrund. Druckfehler sind Mangelware. Manche Zeilen fließen flott, einige wären ohne erzwungene Reime weniger holprig; viel Tiefsinniges, wenig Banales.

Insgesamt sind die Verse wohltuend leseleicht, teils sprachgewandt, oft originell. Und voll feinem Humor: Das verliebte Efeu umrankt den Baum ohne Lücken - der wundert sich: "Auch Liebe kann erdrücken." Da wünscht sich der Dichter zu Recht: "Es wäre ganz schön, wenn einmal steht, er schreibt ganz gut und ist Poet."