„Ich werde das Entsetzliche nicht los“

Johannes Girmes stammt aus der berühmten Oedter Textil-Dynastie. Heute lebt er als Autor in den USA. In seinem Roman geht es um seine schlimmen Kriegserlebnisse.

Oedt/Raleigh (USA). In Deutschland wollte er nicht mehr leben: Prägende Kriegsgräuel in seiner Heimat Oedt sowie unangenehme berufliche und private Erfahrungen ließen Johannes Girmes verbittert in die USA auswandern. Dort arbeitete er als Textilhändler. In seinem Roman „Und danach die Asche ins Meer“ beschreibt er seine Erfahrungen und den Versuch, sich Deutschland wieder anzunähern.

Westdeutsche Zeitung: Herr Girmes, wie sehr ist Ihr Buch eine Abrechnung mit Deutschland?

Johannes Girmes: Ich bin wie viele traumatisiert durch die üble Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. So vieles habe ich selbst erleben müssen. Ich habe dann auch Auschwitz, Dachau, Buchenwald besucht, ich werde das Entsetzliche nicht los. Von diesem Deutschland konnte ich mich leicht trennen.

WZ: Aber in Amerika wurden Sie auch nicht glücklich, oder?

Girmes: Ich fühlte mich in Amerika wohl, zunächst. Aber dieses idealisierte Amerika wurde für mich, vor allem unter Präsident Bush, zu einer Enttäuschung.

WZ: Und wie ist Ihr Bild von Deutschland heute?

Girmes: Durch meinen Beruf bin ich immer wieder zurück nach Deutschland gekommen. Und ich habe ein anderes Deutschland kennengelernt, eines, für das ich Sympathie empfinden kann. Das macht mich glücklich und stolz.

WZ: Warum nennen Sie Ihr Buch einen Roman, obwohl es um Ihre Lebensgeschichte geht?

Girmes: Es ist doch ein Roman. Aber ich weiß, speziell am Niederrhein, wo mich viele kennen, komme ich nicht damit durch. Wer mich kennt, erkennt mich im Buch wieder. Doch es schien mir besser, all diese einschneidenden Erlebnisse in einen Roman zu packen als etwa in eine Autobiografie. So kann ich einfach besser erzählen.

WZ: Fiel es Ihnen schwer, die teilweise schrecklichen Erlebnisse zu schildern?

Girmes: Ja, sehr schwer, das steckt ja zeitlebens in einem drin. Sie können sich kaum vorstellen, wie etwa das Bild der entblößten Brust der von einem SS-Mann ermordeten Russin einen nie los lässt. Das löst immer wieder Berühungsängste mit Frauen aus, wie soll man das überwinden?

WZ: Ist denn alles wahr in Ihrem Roman, auch die Freundschaft zur Studentin Julia?

Girmes: Ich sprach ja eben von den Berührungsängsten gegenüber Frauen, die einen prägen. Aber dann kommt die Studentin Julia, die Freundschaft zur jungen Frau entkrampft die Beziehung zum anderen Geschlecht. Aber, wie gesagt, das ist eben ein Roman, mehr sage ich dazu nicht — und dabei soll es bleiben.

WZ: Haben Sie noch Kontakt zur alten Heimat, von der Sie viel erzählen?

Girmes: Ich habe sogar noch starken Kontakt zu meiner Heimat, da kennen mich ja auch noch viele. Und natürlich mag ich den Niederrhein, aber das Wetter ist manchmal wirklich zum Auswandern!

WZ: Und wann kommen Sie mal wieder her?

Girmes: Jetzt im Frühjahr komme ich zur Leipziger Buchmesse, da reicht die Zeit leider nicht für einen Abstecher. Aber im Herbst werde ich wieder in der Gegend sein, vielleicht auch aus meinem Buch lesen.