Prozess Kempen/Krefeld: Sexuelle Nötigung oder vorgetäuschte Straftat?
Kempen/Krefeld · Frühere Sozialpädagogin des Kempener Annenhofs muss sich wegen Nötigung eines Flüchtlings verantworten. Am ersten Prozesstag machte der Anwalt der Frau deutlich, dass die Vorwürfe an den Haaren herbeigezogen seien.
„An den Haaren herbeigezogen“ seien die Vorwürfe gegen seine Mandantin. Das sagte am Freitag der Verteidiger einer 27-jährigen Frau aus Kevelaer, die sich wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und sexueller Nötigung vor dem Schöffengericht in Krefeld verantworten muss. Die Sozialpädagogin war seit dem Frühjahr 2016 in der Kempener Kinder- und Jugendeinrichtung Annenhof tätig. Ab Oktober 2016 soll sie zuerst die kommissarische, dann die bestellte Leiterin einer Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gewesen sein.
Sechs Minderjährige sollen in dieser Gruppe gelebt haben. Unter ihnen auch ein 16-Jähriger, der seit Oktober 2016 Teil der Gruppe war. Danach gehen die Schilderungen von Anklage und Angeklagter auseinander. Laut Staatsanwaltschaft soll die Angeklagte bereits Mitte November 2016 dem mutmaßlich Geschädigten immer wieder Komplimente gemacht und geäußert haben, dass sie eine Beziehung – auch sexueller Art – führen wolle. Anfangs habe dies der junge Mann zurückgewiesen, allerdings soll die Angeklagte ihn verbal unter Druck gesetzt haben und ihm mit ihren guten Kontakten zu Polizei und Ausländerbehörde gedroht haben. So soll sie unter anderem gesagt haben, dass ein Anruf reichen würde und er würde sofort nach Afrika abgeschoben werden.
Unter diesem Druck soll das mutmaßliche Opfer ab Januar 2017 auf die Avancen eingegangen sein und es soll immer dann zu sexuellen Kontakten im Bereitschaftszimmer gekommen sein, wenn die Angeklagte Nachtschicht hatte. Von Januar bis Dezember 2017 sollen dies mindestens 28 Fälle gewesen sein, heißt es in der Anklage.
Vor Gericht ließ die Angeklagte durch ihren Verteidiger mitteilen, dass es zwar eine Beziehung gegeben habe, diese allerdings durch das mutmaßliche Opfer angestoßen worden sei. Allerdings habe auch sie sich in den jungen Mann verliebt. Bis Mitte März 2019 soll die Partnerschaft gedauert haben. Der Mann sei, nachdem er die Wohngruppe verlassen hatte, sogar bei der Angeklagten eingezogen. Er habe am Familienleben teilgenommen und sei beispielsweise zu den Eltern der Frau mitgekommen und mit ihr in den Urlaub nach Ostfriesland gereist. Im Frühjahr 2019 kam es allerdings zum Zerwürfnis, in großem Streit habe man sich getrennt.
Das mutmaßliche Opfer ging danach zur Polizei, zeigte die Angeklagte an und brachte so das Verfahren ins Rollen. Später soll er sich per Handynachricht immer wieder entschuldigt und versprochen haben, die Dinge wieder richtig zu stellen, so die Angeklagte.
Nach derzeitigem Stand ist der Belastungszeuge nicht auffindbar, sagte der Richter während des Prozesses. Laut einer letzten Statusmeldung auf seinem Handy könnte er sich irgendwo in Frankreich befinden, vermutet der Rechtsanwalt der Angeklagten. Eine Aussage von ihm dürfte unwahrscheinlich sein. Insbesondere, wenn die Version der Geschehnisse der Angeklagten stimmt, dann droht dem Mann ein Verfahren wegen Vortäuschung einer Straftat und falscher Verdächtigung.
Über den Fall und die bevorstehende Gerichtsverhandlung hatte die WZ bereits im März berichtet. Zum Prozessauftakt kam es dann wegen der Corona-Auflagen zunächst nicht. Nun soll der Prozess in der kommenden Woche fortgesetzt werden.