SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Viersen Stahl-Nachlass nun im Kreisarchiv zugänglich

Kempen · 500 Aktenordner des früheren SPD-Politikers Erwin Stahl aus Kempen hat Archivarin Annegret Hols geordnet und für die Forschung zugänglich gemacht. Stahl war Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär. Er half beim Aufbau Ost mit.

Bundeskanzler Willy Brandt (2.v.l.) im Jahr 1976 vor dem Brüggener Rathaus mit Hans-Otto Bäumer (l.), Heinz Kirschner (3.v.r.), Johannes Rau (2.v.r.) und Erwin Stahl (r.).

Foto: Privat/SPD

Er wurde in Polen geboren, kam nach der Entlassung aus Kriegsgefangenschaft in den Westen, wurde Bergmann und setzte sich später als führendes Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag für die Belange der Bürgerinnen und Bürger im Kreis Viersen ein. Am 7. August 2019 starb Erwin Stahl aus Kempen nach langer Krankheit im Alter von 88 Jahren. Jetzt ist sein politischer Nachlass für jedermann im Kreisarchiv Viersen zugänglich.

Interessantes und Überraschendes hat Annegret Hols, Mitarbeiterin des Archivs, in den rund 500 Aktenordner – prall gefüllt mit Dokumenten seines politischen und beruflichen Wirkens – entdeckt. Der SPD-Politiker Erwin Stahl war per „Du“ mit seinen Parteifreunden und Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, er besuchte den damaligen Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner, in dessen Ferienhaus in Schweden, er spielte Skat mit dem damaligen Bundesverteidigungsminister Hans Apel (SPD) und war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Forschung und Technologie. Von 1972 bis 1990 vertrat er die Interessen der Menschen aus dem Kreis Viersen als Abgeordneter im Deutschen Bundestag.

Stahl hat Verantwortung mitgetragen in politisch durchaus unruhigen und bewegten Zeiten. Dabei war ihm eine politische Karriere, wie er sie später gemacht hat, beileibe nicht an der Wiege gesungen. Im Gegenteil: Stahl wurde am 25. Juni 1931 in einem kleinen Ort namens Eigenheim im Kreis Hohensalza geboren. Die ehemals preußische Region gehörte zu Polen. Stahls Familie war deutschstämmig und hatte es als Minderheit nicht leicht.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war seine Familie von 1945 bis 1949 in Polen in einem Lager interniert. Die Familie emigrierte danach in den Westen ins Ruhrgebiet. Stahl wurde Bergmann, bildete sich zum Grubensteiger und Grubenbetriebsführer sowie Bergingenieur fort. Tönisberg am Niederrhein wurde seine Heimat, hier gründete er eine Familie. Die Zeche war sein Arbeitsplatz.

Erwin Stahls Tochter Julia Stahl-Hermanns (l.) mit Annegret Hols, Mitarbeiterin im Kreisarchiv Viersen, und dem stellvertretenden Leiter des Kreisarchivs, Matthias Herm.

Foto: Kreis Viersen

Seit 1964 gehörte Stahl der SPD an. Von 1970 bis 1975 war er als Stadtverordneter im Rat der Stadt Kempen tätig. Er war stellvertretender Bürgermeister und viele Jahre SPD-Kreisvorsitzender. 1972 zog er erstmals als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. Er blieb es bis 1990. Dem Sozialdemokraten Stahl war es aber nie vergönnt, direkt in den Bundestag gewählt zu werden. Bei den Bundestagswahlen erhielt damals wie heute der CDU-Kandidat im Kreis Viersen die meisten Stimmen. Stahl zog stets über die Landesliste der SPD Nordrhein-Westfalen in das höchste Parlament der Bundesrepublik Deutschland ein.

Stahl lebte einige Jahre
im Bonner Stadtteil Beuel

Die Bundespolitik wurde damals noch von Bonn aus bestimmt. In der Stadt am Rhein, im Bonner Stadtteil Beuel, lebte Stahl einige Jahre mit seiner Familie, ohne den Kontakt zu seinem Heimatwahlkreis zu verlieren. Er war stets präsent bei SPD-Parteitagen oder anderen öffentlichen Veranstaltungen im Kreis Viersen und am Niederrhein. Während seiner Zeit als Abgeordneter arbeitete er eng mit seinen CDU-Kollegen aus dem Kreis Viersen zusammen. Ein besonders vertrauensvolles Verhältnis entwickelte er zu Julius Louven aus St. Hubert. Gemeinsam haben die beiden Abgeordneten viel Positives für den Kreis Viersen bewirkt. Ein Beispiel ist die Verlängerung der Autobahn 52 über Schwalmtal nach Elmpt.

Aus der umfangreichen Dokumentation von Stahls Nachlass, den das Kreisarchiv jetzt auch im Onlineportal der Archive in Nordrhein-Westfalen zugänglich macht, wird deutlich, dass sich der SPD-Politiker nicht nur als Lenker in Führungspositionen verstand, sondern vor allem als Sprachrohr des so genannten kleinen Mannes. Er setzte sich unermüdlich für die Bürgerinnen und Bürger im Kreis Viersen ein. Wie Archivarin Hols festgestellt hat, war es Stahls Anspruch, für jedes Anliegen ein offenes Ohr zu haben. Das ergebe sich als den zahllos erhaltenen Bittschriften an ihn und seinen jeweiligen Antworten: Da meldete sich bei ihm zum Beispiel eine junge Frau, die eine Ausbildungsstelle in einem Männerberuf suchte, oder ein Rentner, der bei den Behörden um seine Rentenansprüche kämpfen musste, oder eine Grundschulklasse der Körnerschule in Viersen, die sich beim Unterricht durch tief fliegende Flugzeuge der britischen Rheinarmee gestört fühlte.

Als Parlamentarischer Staatssekretär hat er von 1978 bis 1982 im Bundesministerium für Forschung und Technologie in der Bundesregierung von Helmut Schmidt (SPD) besondere Akzente in der Energiepolitik gesetzt. Er befürwortete ein Nebeneinander von Kohle und Atomkraft. Zu Zeiten der Anti-Atomkraft-Bewegung machte er sich dabei nicht überall Freunde. Sein Wohnhaus an der Tiefstraße in Kempen, das er 1982 mit seiner Familie bezogen hatte, wurde sogar mal von Unbekannten – vermutlich Atomkraftgegnern – beschmiert. Stahl selbst blieb auch bei diesem Streitthema unaufgeregt und pragmatisch. Seine ruhige und geradlinige Art wurde dabei stets sehr geschätzt.

Nachdem er 1990 nicht mehr für den Bundestag kandidiert hatte, half Stahl beim Aufbau in Ost-Deutschland mit. In der Lausitz arbeitete er noch einige Zeit als Personalvorstand im Energiekombinat „Schwarze Pumpe“.