Trauer um Erwin Stahl Ein geradliniger Sozialdemokrat

Kempen/Tönisberg · Erwin Stahl ist im Alter von 88 Jahren gestorben. Von 1972 bis 1990 saß der Bergmann aus Tönisberg für die SPD im Deutschen Bundestag.

2014 ehrte Udo Schiefner (r.) seinen „väterlichen Weggefährten“ Erwin Stahl als langjähriges Mitglied der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Dem Verband gehörte Stahl bis zu seinem Tod 55 Jahre an.

Foto: Reimann, Friedhelm (rei)

Es war im Juni 2011, als der Autor dieses Textes von einem Interviewpartner tief beeindruckt war. Damals gab es ein Gespräch mit dem langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Erwin Stahl zu seinem 80. Geburtstag. Sachlich, unaufgeregt und pragmatisch sprach Stahl über große politische Streitthemen der 70er und 80er Jahre – unter anderem die Atomenergie und den Nato-Doppelbeschluss. Ebenso unaufgeregt sprach der Kempener über seine Streitigkeiten darüber mit Willy Brandt oder Herbert Wehner. In seiner politischen Karriere war Stahl ein wichtiger Gestalter der SPD im Bund, aber auch vor Ort in Kempen. Am Mittwochabend ist der frühere Bergmann nach längerer Krankheit im Alter von 88 Jahren in seinem Heimatdorf Tönisberg gestorben. Das teilte seine Familie mit.

„Trotz des durchaus gesegneten Alters von Erwin Stahl hat mich diese Nachricht schockiert“, sagte Udo Schiefner am Donnerstag der WZ. Der aktuelle SPD-Bundestagsabgeordnete bezeichnete den Verstorbenen als „väterlichen Weggefährten“. „Erwin Stahl hat mein politisches Leben geprägt. Aber vor allem hat er die SPD in Kempen und im Kreis Viersen über viele Jahrzehnte geprägt“, so Schiefner. „Imponiert hat mir immer seine Geradlinigkeit. Wenn er von einer Meinung und von seinem Handeln überzeugt war, ließ er sich nicht beirren.“

Und Stahl ließ sich auch nichts gefallen, konnte auch mal laut werden. So berichtete er gerne von seiner ersten Begegnung mit dem gefürchteten SPD-Fraktionschef Wehner. Dabei habe es gleich gekracht. „Ich war Obmann für Technik und Forschung in der SPD-Fraktion. Als es in einer Debatte im Bundestag um diese Themen ging, saß ich neben Wehner“, erzählte Stahl vor acht Jahren im Geburtstags-Interview. Als Neuling wollte er einen Rat vom Fraktionschef. Der wiederum ließ Stahl mit harschen Worten abblitzen. „Da habe ich auch harsch reagiert und gesagt: ,Sie sind mein Fraktionschef und nicht mein Gruben-Betriebsleiter’“, erinnert sich der frühere Bergmann. „Das hat ihm sehr imponiert und wir haben uns über Jahre sehr gut verstanden und regelmäßig ausgetauscht.“ Wehner und Stahl wurden über Jahre zu Vertrauten in der Fraktion.

Im Bundestag saß Stahl von 1972 bis 1990. In dieser Zeit war er unter anderem Staatssekretär im Forschungsministerium (1978 bis 1982). In der gemeinsamen Bonner Zeit hat Stahl auch eng mit dem CDU-Kollegen Julius Louven zusammengearbeitet. „Wir mussten uns zunächst aneinander gewöhnen. In all den Jahren hatten wir dann aber ein sehr vertrauensvolles Verhältnis“, erinnert sich der St. Huberter Louven, der von 1980 bis 2002 Mitglied des Bundestags war. „Wir haben intern über die Parteigrenzen hinweg eine Menge auf den Weg gebracht, von dem die Menschen im Kreis Viersen profitiert haben“, so der 86-jährige Louven. Als Beispiel nannte er die Verlängerung der Autobahn 52 über Schwalmtal nach Elmpt. „Da haben wir uns gemeinsam rein gekniet.“ Auch nach der politischen Karriere haben Louven und Stahl Kontakt gehalten. Noch vor einigen Wochen hat Louven den früheren Kollegen in Tönisberg besucht – gemeinsam mit dem Stahl-Nachfolger im Bundestag, Walter Schöler aus Tönisvorst.

Nach dem Ausstieg aus der Bundespolitik und dem Ende der DDR ging der Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse 1990 in den Osten und half beim Aufbau: Erwin Stahl wurde Vorstandsmitglied beim Energiewerk Schwarze Pumpe und half bei der Umstrukturierung des einstigen Staatsbetriebes.

Bergmann wurde Stahl 1956 auf der Zeche Niederrhein, ab 1962 in Tönisberg. 1964 trat er in die SPD ein. Als Ratsherr in Kempen war er unter anderem stellvertretender Bürgermeister und wirkte Anfang der 70er Jahre bei der Altstadtsanierung mit: „Das war ein schwieriger Prozess, der sich aber gelohnt hat“, befand Stahl im Nachgang. Und in der Altstadt hat er sich auch viele Jahre wohl gefühlt. Von 1982 an lebte er in einem Haus an der Tiefstraße. 2014 zog es ihn dann wieder nach Tönisberg. Bis zu seinem Tod lebte Stahl in einer Wohnung im Neubau am Pottbäckerweg, den sein Sohn Jörg realisiert hat. Erwin Stahl hinterlässt vier Kinder, sechs Enkel und acht Urenkel. Die Beerdigung ist voraussichtlich am Samstag, 17. August, in Tönisberg.