Menschen in Kempen: Ich kam als Fremde hierher

Regina Wicke verarbeitet ihr bewegtes Leben in ihren Bildern.

Kempen. "Kempen ist mehr als eine Erinnerung, Kempen ist Heimat", sagt Regina Wicke. Am Sonntag hat sie im Rathaus ihre Ausstellung "Menschen & Märchen" eröffnet. 50 Aquarelle der Künstlerin aus Remscheid-Lennep sind bis zum 14. März zu sehen.

Ermöglicht haben es die Menschen, die Kempen für sie zur Heimat gemacht haben, ihre ehemaligen Klassenkameradinnen wie Ingrid Rabbels. Als Regina Wicke 1955 mit Mutter und Schwester hierher gekommen ist, war sie eine Fremde: "Ich kam als ganz anderer Mensch in eine fremde Welt. Ich war eine Aussätzige."

Im Gymnasium musste die damals 13-Jährige Regina Klug viel aufholen, hatte plötzlich Latein statt Russisch und Religionsunterricht, obwohl sie noch nie etwas vom Glauben gehört hatte. Heute ist sie gläubig. Und so spiegeln viele ihrer Bilder die Liebe zur Schöpfung wider, aber auch Vertrauen auf ein Leben nach dem Tod.

Grau, versteinert und schmerzvoll wirkt etwa "Warten auf Erlösung"; das Bild zeigt Gesichter, die einen Weg pflastern, Tote, die auf Erlösung hoffen. "Erst in Kempen habe ich begriffen, was ich erlebt habe, weil ich eine Außenseiterin war. Ich merkte, dass ich Sachen in mir hatte, die ich niemandem erzählen konnte. Die wussten ja nichts von der DDR, haben nichts verstanden."

Nichts verstanden von dem, was vor der Flucht geschehen war. Vater Walter Klug wurde Ende 1952 gegen den Widerstand seiner Arbeiter verhaftet, ins Gefängnis gesteckt, später u.a. wegen unzulässiger Lohnerhöhung verurteilt; die Eisengießerei in Taucha bei Leipzig als Volkseigener Betrieb einem Treuhänder übergeben; die Unternehmerfamilie überwacht, gegängelt, gemieden.

Beim Aufstand am 17. Juni 1953 demonstrierten die Arbeiter für freie Wahlen und die Freilassung ihres Chefs. Am 19. Juni 1953 wurde Klug aus der Haft entlassen, aber eine Zukunft gab es für die Familie in der DDR nicht.

1954 zog Klug nach Kempen und wurde Gießereileiter bei Arnold. Die Familie kam nach, aus einer feindlichen in eine fremde Welt. Erst spät, bei einer Reise in die DDR 1972, hat Regina Wicke begriffen, was geschehen war, was der geliebte Vater erlebt hatte.

Schließlich prägten zwei Diktaturen sein Leben; schon die Nazis bestimmten nach ihren unmenschlichen Regeln mit in Klugs Eisengießerei, die als kriegsrelevant galt. Und so ist auch der Holocaust in Regina Wickes Bildern Thema: Leichen ausgemergelter, gequälter Kreaturen liegen unter der aufsteigenden blutigen Rauchsäule des Todes. Einzig ein Paar lebt, hält sich im Arm - die Liebe siegt sogar über dieses Verbrechen. "Ich brauche ein Ventil, über das ich mich ausdrücken kann", sagt Wicke.

Das hat sie in der Malerei gefunden. Nach all dem Erlebten, an dem Wicke noch immer schwer trägt, verbindet sie mit Kempen Schönes, nämlich die Freundschaft der Klassenkameradinnen. "Das gibt es nicht noch einmal. Das ist wunderbar."