Textilindustrie im Zeitraffer

Walter Tillmann organisiert im Textilmuseum „Die Scheune“ die Ausstellung „Auf dem Weg zur Textilproduktion 4.0“.

Foto: Knappe

Nettetal. In heiterer Runde bei einem Glas Sekt entstand die Idee zu dieser Ausstellung: Während des Empfangs zu seinem 90. Geburtstag in der Textilscheune in Hinsbeck-Hombergen erwähnte Walter Tillmann das Schlagwort „Industrie 4.0“ — und der Textilingenieur wurde gleich beim Wort genommen. Als er sich dann ernsthaft damit beschäftigte, „merkte ich erst, dass ich völlig falsche Vorstellungen hatte“, gesteht er heute und fügt hinzu: „Aber bei vielen Bekannten war das genauso.“ Umso größer war deshalb sein Ehrgeiz, die industrielle Zukunft der Textilindustrie plakativ sichtbar zu machen. „Besser gesagt“, schränkt er etwas ein, „wir wollen auf die ersten Ansätze hinweisen.“

Der Weg dorthin begann vor rund 200 Jahren mit der ersten Industriellen Revolution, als nach und nach mechanische Webstühle die Arbeit des Handwebers verdrängten, als sich vor allem die Antriebsarten für die Maschinen von Menschen-, Pferde- und Wasserkraft auf Dampfmaschinen veränderten. Geradezu niedlich wirken die metallene Pferdekarrenskulptur und die Minidampfmaschine in einem gläsernen Fabrikgebäude. „Das Modell hat mir ein Bekannter geliehen“, sagt Tillmann. Es ist nicht die einzige Leihgabe, die er in den vergangenen Monaten bei Firmen und Hochschulen erhalten hat. Behalten darf er ein Stück Kokosmatte, die zu den Geotextilien gehört. „Diese habe ich bei Arbeiten am Bahndamm in Viersen gesehen, die Arbeiter haben sie mir geschenkt.“ Die Kokosfasern werden durch ein Textilgeflecht gehalten und dienen als Stabilisator.

Zwischen zahlreichen Handwebschiffchen, Webschützen und Druckwalzen liegt ein kleiner Elektromotor, Sinnbild für die Industrie 2.0 ab Ende des 19. Jahrhunderts. Die neue Energiequelle gab der Produktion einen ungeheuren Schub, viele Maschinen wurden neu- oder weiterentwickelt. Die nächste Revolution zeichnete sich nach dem Zweiten Weltkrieg ab, als die Automatisierung verfeinert wurde und nach und nach der Computer in die Maschinensteuerung Einzug hielt. Auf der Digitalisierung mit ihrer fast allumfassenden Datenverarbeitung beruht auch die Industrie 4.0. Walter Tillmann hält einen „Handschuh mit Hirn“ hoch, dessen Sensoren schnell Teile scannen, die für die Produktion gebraucht werden.

Auf der Suche nach intelligenten Produkten ist Tillmann nicht nur im Carbon Valley in Stade bei Hamburg fündig geworden, sondern auch beim 3-D-Drucker Modellbau Pfundstein in Kempen oder bei Pile Fabrics in Lobberich. Der Hersteller technischer Textilien fertigt auch Luftkissen nach der alten Methode der Abstandsgewebe — wie man hierzulande früher auch Samt produzierte — nur in kleineren Dimensionen. Pile Fabrics bietet auch eine Besichtigung der Produktion in den früheren Hallen von Rokal Armaturen (später Hansa) an der Robert-Kahrmann-Straße an. Listen für Besuchereintragungen liegen bei der Ausstellung aus.

Im Obergeschoss der Scheune hat Tillmann Schriften und Zeitungsartikel zum Thema Industrie 4.0 ausgelegt, außerdem wird an einer Wand die Entwicklung des Jacquard-Webstuhls in vielen Bildern dargestellt — eine frühe Ausführung dieses Stuhls steht auch im Erdgeschoss, noch umstellt von Webutensilien aus älterer Zeit. Bis alles richtig an der Wand hängt oder auf den Tischen steht, bleibt bis Sonntag noch einiges zu tun für Tillmann und seine beiden Mitarbeiter Hans-Willi Lersmacher und Dieter Wlacil, beide ebenfalls studierte Textilingenieure und Männer mit Jahrzehnte langer Erfahrung.