Nachhilfe beim „englischen Patienten“

Blutige Entlassung? „Keine Spur“, sagt der Chef des Viersener Krankenhauses. Die Klinik am Hoserkirchweg hat sich vielmehr ein gute Beispiel an den Briten genommen.

Kreis Viersen. Horst Seehofer ist nicht nur dabei, die CSU umzukrempeln. Der bayerische Partei-Chef hat während seiner Zeit als Bundes-Gesundheitsminister (1992-1998) auch ein Prinzip im Krankenhaus auf den Kopf gestellt: Wurde der Patient zuvor möglichst lange in der Klinik gehalten, so führte die Einführung der Fall-Pauschale dazu, dass die Verweildauer der Patienten in den Kliniken immer geringer geworden ist.

"1995 lag sie durchschnittlich bei 12,8 Tagen, heute nur noch bei 8,5 Tagen", berichtet Lothar Kratz, der als Sprecher der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen 432 Kliniken in NRW im Blick hat. Folge: Die Hospitäler haben den Patienten als "ökonomischen Faktor" entdeckt. Allerdings macht seitdem auch das Schlagwort der "blutigen Entlassung" die Runde.

All das ist auch im Allgemeinen Krankenhaus Viersen (AKH) angekommen. Dort sagen 84 von 100Teilnehmern der WZ-Fragebogen-Aktion: Die Verweildauer im AKH ist angemessen. Eine gute Quote, vor allem mit Blick auf nur 4 von 100Teilnehmern, die die Verweildauer als "zu kurz" ansehen. Das ist von außen betrachtet mit Blick auf die Fall-Pauschale sogar eine sensationell geringe Zahl.

AKH-Geschäftsführer Gerold Eckardt (Foto) verwundert dieses gute Benotung für sein Haus freilich nicht. "Bei uns muss man den englischen Patienten im Blick haben", sagt der 61-Jährige. Hintergrund: Im Krankenhaus am Hoserkirchweg 63 werden seit 1992 auch die Patienten der grenznahen britischen Militärdepots behandelt. Allein in den ersten neun Monaten 2008 waren von den insgesamt 12000 AKH-Patienten 1200 Briten- das sind zehn Prozent. Eckardt: "In britischen Krankenhäusern herrscht traditionell eine weitaus geringere Verweildauer als in Deutschland, davon haben wir natürlich gelernt." Zumal das AKH sich seit Jahren intensiv mit dem Guys and St. Thomas Hospital in London austauscht, wozu auch gemeinsame Kongresse und Gastbesuche an der Themse gehören.

Über die NRW-Zahl 8,5 Tage kann Eckardt insofern nur müde lächeln. Bei den Briten liegt die Quote momentan bei 4,2 Tage, bei den Deutschen bei 6 Tagen im Mittel. "Wir sind seit über 15 Jahren in der Region die Klinik mit der niedrigsten Verweildauer", betont Eckardt, der auch Sprecher der Krankenhäuser im Kreis Viersen ist.

Gerold Eckardt, Geschäftsführer AKH Viersen

Auf das Stichwort "blutige Entlassung" angesprochen, verweist Eckardt auf den Trend zur "schonenden OP", der in Viersen in den Abteilungen Gynäkologie und Chirurgie "im großen Umfang" Einzug gehalten habe. Besonders unter dem neuen Chirurgie-Chef Dr.Gerald Drews gehörten laparoskopische Operationen ("Schlüsselloch") zum Standard.

Lothar Kratz von der Krankenhausgesellschaft bestätigt, dass auch der medizinische Fortschritt ein Grund dafür ist, dass die Menschen immer schneller aus der Klinik entlassen werden können: "Wofür früher 14 Tage avisiert wurden, das wird heute mitunter ambulant gemacht."

Liegt dann irgendwann überhaupt kein Patient mehr im AKH Viersen? "Nein", schließt Eckardt so etwas aus. Denn: Mit der Zunahme an Expertenwissen im medizinischen Bereich gebe es am Hoserkirchweg auch immer mehr große Operationen, die natürlich nicht ambulant betreut werden könnten.

Ein gutes Beispiel, wie sich medizinischer Fortschritt und Koryphäen auf die Verweildauer-Zahlen auswirken, ist am AKH die Abteilung Urologie: Mit dem Arbeitsbeginn des neuen Urologie-Chefarztes Professor Johannes Wolff im Juli 2008 ist die Zahl bereits gesunken. Und zwar bei rund 930 Patienten von 5,45 im Vorjahr auf jetzt 4,86. Für Eckardt auch ein Indiz dafür, dass "der Neue" vermehrt auf schonende OP-Methoden setzt, was die Patienten schneller wieder in ihr häusliches Umfeld bringt.

Die aktuelle Zahl von 5,74 Tagen Verweildauer fürs Viersener Krankenhaus mit seinen 340 Betten dürfte aber so etwas wie das Ende der Fahnenstange in dieser dramatischen Entwicklung sein. Gerold Eckardt: "Wir entlassen hier jedenfalls nicht auf Teufel komm raus."