SPD: Schluss mit Basta-Führungsstil

Nach den verlorenen Wahlen ist die Partei am Boden. Der künftige Vorsitzende Sigmar Gabriel will die Mitglieder stärker beteiligen. „Richtig so“, sagt die Basis am Niederrhein.

Niederrhein. "Die SPD ist in einem katastrophalen Zustand". Das sagt nicht der politische Gegner, sondern der designierte neue Parteivorsitzende Sigmar Gabriel.

In einem Brief an die Genossen an der Basis schreibt spricht Gabriel von einer tiefen Krise. Man stehe vor einem langen, mühsamen Weg. Die Mitglieder hätten heute keinen wirklichen Einfluss mehr.

Das wolle man ändern, wieder Meinungsbildung von unten nach oben schaffen. "Der Zustand vieler Ortsvereine und Unterbezirke hat schon lange nichts mehr mit einer Volks- und Mitgliederpartei zu tun", so Gabriel.

An der Parteibasis am Niederrhein findet Gabriel Unterstützung. "Ich kann Gabriel nur zustimmen", sagt Udo Schiefner, Vorsitzender der SPD Kreis Viersen. "Die Partei ist ein Stück weit gelähmt, vieles läuft auch in Berlin durcheinander wie ein Hühnerhaufen", sagt Schiefner.

Die SPD müsse sich orientieren, die Basis stärker einbinden und brauche einen Neuanfang. Dabei müsse auch NRW eine wichtige Rolle übernehmen. "Deshalb bin ich froh, dass Hannelore Kraft stellvertretende Vorsitzende werden soll", sagt Schiefner.

"In dem Brief von Sigmar Gabriel steckt einiges an Wahrheit drin", sagt SPD-Landtagsabgeordneter Uwe Leuchtenberg aus Tönisvorst. "Einen Basta-Führungsstil können wir nicht brauchen." Die Parteistruktur sei "renovierungsbedürftig". Dass mehr innerparteiliche Diskussion erwünscht sei, begrüßt Leuchtenberg.

"Für Tönisvorst, den Kreis Viersen und NRW kann ich sagen, dass Themen bis in die Fraktionsebene getragen werden." In einem Punkt widerspricht Leuchtenberg Gabriel: "Wir brauchen Flügel in der Partei." Das mache die Volkspartei aus, wenn die sozialdemokratische Grundeinstellung stimme.

Für den Gladbacher Parteivorsitzenden Hermann-Josef Krichel-Mäurer sind die Aussagen Gabriels anscheinend nichts Neues. "Dass es nach dem Wahldesaster so weitergehen würde, damit hat doch wohl keiner ernsthaft gerechnet", sagt er. Es gehe nun nicht darum, ein Scherbengericht zu veranstalten oder Leute zu köpfen.

"Wir müssen uns schon personell, aber gerade auch inhaltlich erneuern bzw. Ergänzungen vornehmen". Die Agenda 2010 sei "ja grundlegend nicht so falsch. Aber wir müssen nachbessern." Ob bei der Rente mit 67, die für einige, aber nicht für alle gelten könne oder bei der ausufernden Zeit- und Leiharbeit zu Lasten regulärer Arbeitsverhältnisse.

Viersens Bürgermeister Günter Thönnessen, seit 1971 Sozialdemokrat, sagt über seine Partei und Sigmar Gabriels Einschätzung: "Der Zustand ist mit Sicherheit nicht gut." Die SPD sei immer eine Mitgliederpartei gewesen, doch "das kleine Mitglied haben wir etwas aus den Augen verloren".

Die von Gabriel geforderte Meinungsbildung von unten nach oben sei ein Thema, das man entwickeln könne. "Wir haben ja auch ein Nachwuchsproblem", so Thönnessen. "Ein bisschen mehr Basisdemokratie wäre da schon gut."

"Wir haben den Weg der stärkeren Basisdemokratie schon vor drei Jahren angefangen", sagt der Krefelder Bundestagsabgeordnete Bernd Scheelen. "Als ich damals Unterbezirksvorsitzender wurde, war die Partei lethargisch." Man habe dann Diskussionsforen ins Leben gerufen, in die sich jeder einbringen konnte.

"Das ist erfolgreich", sagt Scheelen, "aber natürlich nur ein kleiner Schritt." Gabriel habe mit seinem Brief in vielen Punkten Recht, in einigen Punkten sei die schonungslose Analyse jedoch überzogen. "Das Wahlergebnis war sicher katastrophal, der Zustand der Partei ist es aber sicher nicht."