Aus einer eher harmlosen Erzählung wurde eine spannende Story
Ein Rückblick auf die Recherchen der WZ im Jahre 2006 im Fall Rinkel und auf das große mediale Interesse nach der Veröffentlichung.
Willich. Die Geschichte der jetzt verstorbenen Elfriede Rinkel ist wirklich außergewöhnlich: spannend, auch tragisch, mit zeitgeschichtlichem Bezug. Für eine kurze Zeit wollten Medien aus der ganzen Welt über sie berichten. Und wie kam die Westdeutsche Zeitung exklusiv an die Geschichte? Der frühere WZ-Redakteur Peter Korall erinnert sich.
Die spannende Story wirkte in den Anfängen eher harmlos. „Unsere Familie bekommt Zuwachs“, berichtete mir Wochen zuvor eine Freundin aus Willich. „Eine alte Tante, die lange in Amerika gelebt hat, muss das Land verlassen. Ihr Mann ist vor zwei Jahren gestorben und jetzt soll sie dort weg.“ Wie jetzt? Das klang komisch, aber Einzelheiten wusste die Freundin nicht. Also blieb’s bei der Verabredung: Wenn die Tante sich mal in Willich eingelebt hat, kann sie uns das in der Redaktion ja mal berichten, wie das ist, 40 Jahre in San Francisco zu leben. Gesagt, aber noch nicht getan.
Wochen später. „Wolltest du dich nicht mal mit der Tante unserer Freundin in Verbindung setzen?“ Wissen wollte das meine Frau. „Stimmt, wenn Zeit ist, werde ich da mal anrufen.“ Im Büro hatte ich das eigentlich schon verdrängt, als aus dem Nebenzimmer der Kollege Jürgen Lemke hereinkam und erzählte, dass der „Daily Telegraph“ aus London angerufen habe. „Sie suchen eine Frau, die aus den USA ausgewiesen wurde. Im Zuge irgendwelcher Archivöffnungen sind da Hinweise auf die Nazi-Zeit ans Licht gekommen“, so der Kollege. Die Frau soll sich im Kreis Viersen aufhalten.
Ich stutzte. „Ich glaube, die Geschichte kenne ich“, sagte ich. Griff zum Hörer und rief die Freundin an. „Mit dir rechne ich seit Stunden“, reagierte die. „Das stimmt alles so“, erklärte sie. Dann musste ich sie haben. Es dauerte Stunden, um genau zu sein: bis mitten in die nächste Nacht, bis ich mit der Familie eine Lösung gefunden hatte, über Elfriede Rinkel zu berichten. Ich bekam sie für ein paar Minuten sogar selbst ans Telefon. Am darauffolgenden Tag erschien die Geschichte in der WZ.
Ab dem Erscheinungstag brach der mediale Sturm über uns hinein. Die Kollegen von „Spiegel“ und „Stern“ waren gleich persönlich erschienen. „El Pais“ aus Spanien, diverse Zeitungen aus England und Deutschland (unter anderem die „London Times“ und die „Süddeutsche Zeitung“), CNN, die „Washington Post“ und, und, und. Alle wollten diese Geschichte. Jetzt war es Teil der Vereinbarung mit der Familie, dass jeder, der über Elfriede Rinkel berichten wollte, zunächst mich anschrieb. Ich würde dann den Brief dort abliefern. So kam’s.
Berichtet wurde allerdings über die Faktenlage hinaus recht selten. Die Familie wollte das nicht. Sie hatte über die WZ sogar verlautbart, dass „Tante Elfriede“ erstmal in die Schweiz gegangen sei. Das stellte sich später als Notlüge heraus. Sie wollten halt ihre Ruhe haben.
Allerdings steht diese Geschichte heute noch im Online-Lexikon „Wikipedia“. Jahre später interessierte sich deshalb der „Blick“, die größte Boulevard-Zeitung der Schweiz, für die Story. Zwischenzeitlich war auch ein Reporter der ARD einfach in das Altenheim gegangen, in dem Elfriede Rinkel lebte, und hatte versucht, sich mit ihr zu unterhalten. Meine Frau und ich trafen sie immer wieder mal, wenn zu irgendwelchen Anlässen gefeiert wurde. Auskunftsfreudig erzählte sie stets gerne von ihrem Leben in San Francisco. Über das Leben davor sprach sie nie mehr mit mir. Und in einem Punkt schweigt auch die Familie lächelnd: Nämlich bei der Frage, ob die Urne von Elfriede Rinkel — so gehen Gerüchte — nicht doch noch den jüdischen Friedhof in San Francisco erreicht hat und die Verstorbene nun bei ihrem geliebten Mann ist.