Leprahilfe Schiefbahn Wie Schiefbahner Leprakranken helfen

Schiefbahn · Die Infektionskrankheit Lepra gilt in vielen Teilen der Welt als ausgerottet. In Indien aber erkranken noch immer jährlich 120.000 Menschen. Ein französischer Chirurg verschafft ihnen in einer Spezialklinik Heilung. Dank Spendengeldern der Leprahilfe aus Schiefbahn.

Die meisten Leprakranken mussten in der Pandemie hunderte Kilometer zu Fuß gehen und kamen mit schlimmen Geschwüren an den Füßen bei Remy Rousselot im Leprahospital von Bhubaneswar an.

Foto: Katja Hirzmann

Es fällt schwer in diesen Tagen, in denen die Schrecken des Krieges in der Ukraine omnipräsent sind, den Blick in andere Teile der Welt zu richten. Aber auch anderswo sind Menschen in Not, wie in den vielen Entwicklungsländern, die noch immer gegen die Folgen der Corona-Pandemie ankämpfen, während Infektionszahlen im westlichen Wohlstandskosmos eine immer untergeordnetere Rolle spielen. Ein Jahr ist es her, da wurde Indien von der Delta-Welle förmlich überrollt. Die Krematorien quollen über, Leichen trieben auf dem Ganges.

Inmitten dieser humanitären Tragödie tat der französische Arzt Remy Rousselot das, was er seit nun 25 Jahren im ostindischen Bundesstaat Odisha tut: Er operierte und amputierte faulende Gliedmaßen von mehr als 500 Menschen. Aus allen Teilen des Landes kamen 2021 Menschen in sein Hospital, das den Namen „Gandhiji Seva Niketan“ trägt – auf Deutsch „Ghandhis ausgestreckte Hand“. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad, weil Busse und Züge nicht fuhren, teilweise hunderte Kilometer. „Sie kamen mit schlimmen Geschwüren an ihren Füßen“, erzählt Rousselot. Verursacht von einer Infektionskrankheit, die in den wohlhabenden Teilen der Welt mit Mittelalter und biblischer Erzählung assoziiert wird.

Jedes Jahr mehr als
200 000 Menschen an Lepra

Gleichwohl: Noch immer erkranken jedes Jahr mehr als 200 000 Menschen weltweit an Lepra – mehr als die Hälfte in Indien, wo Infizierte noch immer stigmatisiert und sozial geächtet werden, weil die Krankheit als Strafe der Götter gilt. Leprakranke leben verstoßen von der Gesellschaft und werden dadurch in eine noch tiefere Armutsspirale gestürzt: Ihnen bleibt meist nur Betteln als Lebensgrundlage. So erzählt es Josef Heyes. Er sagt: „Wir sprechen bei Lepra von einer Krankheit der Ärmsten, die noch lange nicht besiegt ist.“ Menschen in normalen Lebensumständen erkranken nicht an ihr.

Der ehemalige Bürgermeister ist einer von rund 100 Menschen in Willich, die mit ihrem Engagement dafür sorgen, dass Leprakranken in der Spezialklinik von Rousselot nahe der Stadt Bhubaneswar geholfen wird. Jedes Jahr finden rund 50.000 Euro ihren Weg von der Aktion „Mission und Leprahilfe Schiefbahn“ nach Ostindien, die die vielen Gruppen am Niederrhein und in der Eifel über zahlreiche langjährige private Spender, Firmen, Schulen und Einnahmen aus Hilfsaktionen wie dem Adventsbasar sammeln. Insgesamt gehören rund 2000 Ehrenamtler und 250 Gruppen in Pfarren des Bistums Aachen zum Verein aus Schiefbahn, auch die Pfarrjugend und die Pfadfinder helfen mit. Doch warum liegt gerade hier das Zentrum eines humanitären Hilfsnetzwerks für Leprakranke?

Den Anfang genommen hat alles mit dem Schiefbahner Kaplan August Peters. Er wirkte für 17 Jahre in St. Hubertus. Als er 1963 nach Schiefbahn kam, tobte die Lepra-Epidemie auf der Welt. 35 Millionen Infizierte, ein Antibiotikum, das schlecht wirkte. „Peters sagte, wir müssen anderen helfen und nicht zuschauen“, erinnert sich Heyes. Er war bei der Gründung des Leprahilfswerks in Schiefbahn dabei. Peters missionierte in den Pfarren des Bistums, motivierte zahlreiche Menschen, Decken für Leprakranke zu stricken und Spendenaktionen zu organisieren. Als er schließlich 1981 als Weihbischof nach Aachen gegangen war, gründete unter anderem Heyes und der Franziskanerpater Roland Bramkamp 1983 einen Verein in Schiefbahn.

Bramkamp war es auch, der den Kontakt zum Arzt Remy Rousselot herstellte. Über den französischen Arbeiterpriesterorden und die Gebrüder Jaccard erfuhr er von einem begabten Chirurgen, der ohne Salär Leprakranke operierte. Sie hatten ihn schließlich nach Indien geholt, wo seine Hilfe am dringendsten benötigt wurde. Als sein Besucher-Visum ablief, setzte sich die heilige Mutter Teresa dafür ein, dass er die indische Staatsbürgerschaft bekam. „Das war ein Politikum, denn eigentlich wollte Indien die Krankheit Lepra für besiegt erklären“, sagt Heyes. Was die Regierung schließlich 2006 auch tat. Und obwohl Mahatma Gandhis Kampf gegen Lepra bewirkt hatte, dass in den 1970er Jahren ein Gesetz als Überbleibsel aus der britischen Kolonialherrschaft fiel, das Krankenhäusern untersagte, Leprakranke zu behandeln, werden sie noch heute häufig abgewiesen, berichtet Rousselot: „Offiziell gibt es keine Diskriminierung mehr, aber viele Ärzte schicken sie trotzdem mit der Begründung weg, es gäbe keine freien Betten.“

Rousselot wies sie nicht ab. Als klar war, dass der Chirurg dauerhaft in Indien bleiben darf, wurde das Leprahospital in Bhubaneswar gebaut und 1997 eröffnet – unter anderem finanziert von Geldern der Leprahilfe Schiefbahn. Inzwischen wurde es ausgebaut, verfügt über 50 Betten, „die niemals kalt werden“, so Heyes, der nun seit 38 Jahren der Aktion Mission vorsitzt. Remy Rousselot gehen heute zahlreiche Menschen als Krankenpfleger oder im OP-Saal zur Hand, die er von dem Bakterium befreit hat, das der Krankheit ihren Namen gab. Einer von ihnen ist Kamadeb Rana, den alle nur „Karma“ nennen. Er wurde selbst als kleiner Junge von seiner Familie verstoßen. Rousselot heilte ihn. Heute ist er Präsident des Krankenhauses. Ein Schicksal, das Rousselot zufolge viele Leprakranke ereilt, sobald erste Symptome auftreten.

Dabei gilt Lepra seit Ende der 1980er Jahren als heilbar, es gibt ein wirksames Antibiotikum. Die Menschen aber, die im Leprahospital ankommen, haben oft über viele Jahre aus Angst, verstoßen zu werden, ihre Erkrankung vor der Familie und Nachbarn geheim gehalten. Dadurch werden Amputationen überhaupt erst notwendig. Auch danach nehmen sie ihre Familien häufig je nach Grad der Behinderung nicht mehr auf, trotz Prothesen finden sie häufig keinen Job, sagt Heyes.

Etwa 700 Leprakolonien gibt es außerhalb der Städte, in denen Erkrankte in ärmlichen Hütten hausen. Sechs Kolonien in der Nähe Bhubaneswars werden einmal im Monat vom Hospital mit Verbänden, Desinfektionsmitteln, Seife und Salbe versorgt, damit die Menschen ihre Wunden selbst versorgen können. Rund 5000 Euro kommen dazu aus Schiefbahn. Eine dieser Kolonien hat die ehemalige Mitarbeiterin der Leprahilfe, Katja Hirzmann, 2008 besucht. Besonders im Gedächtnis ist ihr ein Ehepaar geblieben, das ein taubstummes ausgesetztes Mädchen aufgenommen hatte, obwohl die beiden selbst nichts hatten. Im Hospital wurde Hirzmann mit Blumenkränzen überhäuft, wurden Lieder als Zeichen der Dankbarkeit gesungen. „Das war mir fast unangenehm“, sagt sie. Am meisten beeindruckt hat sie: „Die unglaubliche Lebensfreude der Menschen, obwohl sie aus unserem Blick in Umständen leben, die schrecklich sind.“

Gewöhnlich ist Rousselot alle zwei Jahre in Schiefbahn zu Besuch, am liebsten zur Spargelzeit, die Pandemie verhinderte dies 2021. Sie bedeutete für die Leprahilfe aufgrund ausgefallener oder eingeschränkter Adventsbasare und anderer Hilfsaktionen in der Region eine große Anstrengung. Die 50.000 Euro sind dennoch zusammengekommen.