Neersen: Der Räuber schießt zu leise

Das Ensemble vom Hotzenplotz hat seine Hauptprobe gemeistert.

Neersen. "Ich hatte entsetzliche Sorge um euch beide. Entsetzliche Sorge!", sagt die Großmutter zu Kasperl und Seppel. Flüsternd: "Sorge! Angst!" Und schon ertönt die erlösende Stimme aus dem Off, die der Großmutter den weiteren Text zuhaucht. Von kleinen Hängern abgesehen lief die erste Hauptprobe von "Räuber Hotzenplotz" schon sehr rund.

Beim Schuss der Pfefferpistole fehlt ein Trommelwirbel, die Fee vergisst ihren Bühnenabgang und der Zauberer hadert mit seinen Puppenbeinen - kleine Schnitzer, die mit viel Charme und einer guten Prise Humor von den Schauspielern überspielt werden. "Das muss auch so sein", sagt Marc Suesterhenn, der sein zehntes Gastspiel in Neersen gibt, diesmal als Seppel.

"Man hofft ja auch immer auf eine schlechte Generalprobe", sagt Björn Klein alias Kasperl. Die Generalprobe ist erst am Freitag, und zumindest qualitativ wird sich der alte Theatergrundsatz von der verpatzten Probe nicht erfüllen: Die Schauspieler setzen ihre Aufgabe mit viel Können und Engagement um, das Stück ist - wie geplant - frech, kurzweilig und humorvoll.

Das Besondere bei der Inszenierung des Räuber Hotzenplotz ist nämlich, dass die Schauspieler nicht nur ihre Rollen spielen. Sie kümmern sich auch um sämtliche Umbauten, die musikalische Einspieler und die akustische Untermalung. Mit Klarinetten, Schlagwerk, Blockflöte, Rasseln und Microporter sorgt das Ensemble schon fast für eine filmische Inszenierung.

Das Schluchzen der schönen Fee, die zur Unke verzaubert wurde, der maunzende Mantel des bösen Zauberers und das Singen der Kaffeemühle - alles machen die Schauspieler selbst. "Das Stück ist wie Straßentheater, etwas Einfaches", sagt Regisseur Reinhardt Friese. Das macht es für die Schauspieler natürlich sehr anspruchsvoll und stressig, aber Friese ist zuversichtlich. "Das ist eine Stunde Hochleistungssport von den Kollegen", sagt der Regisseur anerkennend, "denn es gibt unglaublich viel, woran man hinter der Bühne denken muss - aber das muss man üben. Auch wie beim Sport." Das Künstlerische, so Friese, sei fertig, nun muss nur noch Hand an den Feinschliff gelegt werden.

Bei 15 Grad und wolkenverhangenem Himmel haben die Akteure ihre Aufgaben mit Bravour gemeistert, haben trotz klammer Finger ihren Instrumenten die richtigen Töne entlocken können und sich warm gespielt.

"Ich hab bisher auch alle Extreme erlebt, bei 35 Grad im dicken Kostüm gespielt oder im Lendenschurz bei gefühlten zehn Grad", sagt "Seppel" Suesterhenn. Bei dieser Professionalität kann auch das Wetter den Freilichtspaß nicht schmälern, zumal Requisiten und Bühnenbild ebenso wetterfest sind wie die Schauspieler.

"Wir sind gut im Rennen und zufrieden. Ein tolles Stück und eine tolle Truppe", sagt Friese, der sich mit der Inszenierung einen Kindheitstraum erfüllt. Überhaupt schließen die Neersener Festspiele für ihn einen Kreis: Bereits vor 18 Jahren war er als Regieassistent in der Festspielstadt, nun ist er als Regisseur zurückgekehrt.

Seit Anfang Mai proben die Schauspieler fast täglich. Am Mittwoch, bei der ersten Hauptprobe mit allen Kostümen und der tatsächlichen Bühnenausstattung, konnten sie zum ersten Mal vor Ort alle Handgriffe in einem Rutsch üben - auch wenn es an wenigen Stellen noch hakt. "Es erfordert eine hohe Konzentration, weil jeder so viele Aufgaben übernimmt und man sich die richtige Reihenfolge merken muss", sagt Jörg Hoppem, der neben dem Wachtmeister Dimpfelmoser auch böse blickend die knorrige alte Eiche spielt, zudem mit Akkordeon und Schlagwerk hantiert und beim Umbau des Bühnenbildes mit hilft.

"Die Abläufe müssen ins Rückenmark gehen, man darf nicht nachdenken über das, was man macht", sagt Björn Klein. "Wenn die Kaffeemühlenmelodie nicht kommt, muss man mit der Situation spielen", sagt Klein, beißt in sein Butterbrot und grinst. "Das haben wir jetzt gelernt. Und dass wir uns auf einander verlassen können - sowohl wenn’s klappt, als auch wenn’s nicht klappt."