Rasante Entwicklung innerhalb 45 Jahren von Willich-Münchheide Vom Ackerland zum wirtschaftlichen Rückgrat Willichs

Willich · Das wirtschaftliche Rückgrat der Stadt Willich ist „Münchheide“ — eines der größten zusammenhängenden Gewerbegebiete Europas. Mit einer Gesamtfläche von rund 176 Hektar bietet es heute rund 8800 Arbeitsplätze in über 900 Unternehmen aus 24 Nationen.

Münchheide (hinten) gilt als eines der größten zusammenhängenden Industriegebiete Europas, im Vordergrund das Stahlwerk Becker.

Foto: Norbert Prümen

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Münchheide Agrarland. Namensspender war der Mönchhof, so genannt nach den Mönchen des 1123 gegründeten Zisterzienserklosters Kamp, das heute zur Stadt Kamp-Lintfort gehört. Der Hof lag am Rande eines Heidegebietes, eben an der nach ihm genannten Mönchheide, das sich als schmaler Schlauch nordwestlich des Willicher Dorfs hinzog und der Gegend ihren Namen gab. 1209 taucht der Mönchhof zum ersten Mal in den Urkunden auf, als die Abtei Kamp einen gewissen Henrich Bottermann auf dem Bauerngut als neuen Pächter einsetzt. Der war als Gegenleistung verpflichtet, den Mönchen alljährlich einen Teil seiner Erträge abzuliefern – die Hälfte des Getreides und des Jungviehs. Diese Erwähnung des Mönchhofs ist eines der ältesten Daten der Willicher Stadtgeschichte.

Mit ihren fruchtbaren Lösslehmböden garantierte die Region nördlich der Münchheide reiche Ernten – und zog schon früh Siedler an. Im Frühjahr 2021 legte hier ein Wissenschaftler-Team des Büros „Archäologie“ aus Moers die Grundrisse von Hofanlagen und weiterer Gebäude frei. Heißt: Schon in der Eisenzeit zwischen 800 vor Christus und der Zeitenwende wurde im Stadtgebiet Münchheide Landwirtschaft betrieben. Die Ausgrabungen boten einen Einblick in das Leben der Germanen zwischen 800 vor Christus und der Zeitenwende.

In unserer Zeit hat sich die Münchheide aus einem Land des Bauernfleißes zum lukrativen Gewerbestandort entwickelt. Den Anstoß gab der 1975 verkündete Wegzug der Willicher Hannen-Brauerei, bis dahin mit 460 Mitarbeitern das größte Unternehmen vor Ort, nach Mönchengladbach-Neuwerk. 1980 stellte sie ihren Braubetrieb ein. Der Verlust hatte sich schon in den 1960er Jahren abgezeichnet, denn Hannen fand in Alt-Willich keine Flächen zur Betriebsvergrößerung. Stadtdirektor Bernhard Hüsers (Amtszeit: 1970 bis 1979) stellte Überlegungen für die Zukunft an: Wie konnte man, wenn die Brauerei weg sein würde, neue Arbeitsplätze schaffen? 1972 machte der damalige Wirtschaftsdezernent der Kempener Kreisverwaltung, Horst Kassler, Vorschläge für die Entwicklung eines überregional ausstrahlenden Gewerbegebiets. Daraufhin entschied der Stadtrat, eine neue Industrie- und Gewerbefläche zu schaffen – in „Willich-West“, zwischen der neuen Autobahn A 44 und der L 26.

1974 kaufte der Kreis Viersen
die ersten 60 000 Quadratmeter

Am 18. Juli 1974 beschloss der Rat die Aufstellung eines Bebauungsplans für diesen Bereich: ein historisches Datum. Das Land NRW bewilligte einen Zuschuss in Millionenhöhe, die Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Viersen erwarb für die Stadt die ersten 60 000 Quadratmeter Ackerland. 1976 setzte die heiße Phase der Planung ein – für „Münchheide“, wie man den künftigen Industriepark jetzt nannte. Um Abhängigkeit von bestimmten Branchen oder Großbetrieben zu vermeiden, sollte ein Mix mittelständischer Betriebe unterschiedlicher Art entstehen. Das war der Beginn von „Münchheide I“. 1978 erfolgte der erste Spatenstich. Als erstes Unternehmen eröffnete hier im März 1979 die Firma Dagema – ein Einkaufsverbund für Metzgerei-Bedarfsartikel – Zentrallager und Verwaltung. 1987 wurde im Areal dieses ersten Münchheide-Projekts das letzte Grundstück verkauft. Ein Jahr später optimierte der Autobahn-Anschluss der A 44 die logistischen Möglichkeiten des Quartiers.

Auf das Gewerbe-Ansiedlungsprojekt Münchheide I sind bisher vier weitere gefolgt. Für die Stadt eine Goldgrube, denn die Industrie-Grundstücke gingen weg wie warme Semmeln, entsprechend stieg das Aufkommen an Gewerbesteuer, und in Willich sank die Arbeitslosigkeit auf vier Prozent. Am 1. Januar 1989 gab es in „Münchheide I“ schon 154 Unternehmen mit 2700 Arbeitsplätzen; knapp 35 Prozent davon Willicher Firmen. 1986 begann die Erschließung von Münchheide II nördlich der L 26; ohne Landeszuschüsse, künftig musste die Stadt Willich ihr „Münchheide“-Projekt alleine stemmen. Das tat sie höchst erfolgreich: Bis 1990 siedelten sich in Münchheide II weitere 48 Betriebe mit 1700 Mitarbeitern an. Darunter die Firma Goldstar, der drittgrößte Konzern Südkoreas, der hier auf 60 000 Quadratmetern seine europäische Handels- und Vertriebszentrale errichtete. In sein „Europa Headquarter“, im September 1989 eröffnet, investierte Goldstar knapp 23 Millionen DM. Mit Münchheide III kamen von 1991 bis 1996 neun Hektar dazu; Platz für 60 Unternehmen mit 1500 Mitarbeitern. Mit Münchheide IV folgten von 2007 bis heute weitere 27 Hektar. Wer sich da auf der Münchheide so alles niedergelassen hat? Namen mit Gewicht. Die Palette reicht von Audi und Canon über Porsche und Volkswagen bis zum Hersteller von Wiegesystemen Yamato Scale und Yonex, dem weltweit führenden Produzenten für Golf-, Tennis- and Badmintonausrüstung.

Drei Instrumente sind es, die „Münchheide“ zu einer Erfolgsgeschichte gemacht haben: Einmal das 1980 bei der Stadtverwaltung eingerichtete Amt für Wirtschaft und Verkehr, das mithilfe der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises Viersen die ersten Unternehmen auf der Münchheide ansiedelte. Dann die städtische Grundstücksgesellschaft (GSG), Ende 1985 gegründet; sie sichert die unbürokratische Vermarktung der Grundstücke. Schließlich der „Runde Tisch“. Der steht für das flexible Zusammenwirken aller am Baugenehmigungsverfahren beteiligten Personen und Behörden. Mit seiner Hilfe wurde die Bearbeitung von Bauanträgen in der Stadtverwaltung auf die Rekordzeit von 30 Tagen verkürzt.

Zurzeit laufen die Planungen für Münchheide V westlich der Autobahn A 44. Planungen, die neuesten wirtschaftlichen und ökologischen Standards entsprechen. Auf 180 000 Quadratmetern sollen Frischluftschneisen als grüne Lunge und Treffpunkte verlaufen. Ganz klar, dass es einen Ladepark für E-Autos geben wird. Pflanzenwuchs auf den Dächern, Photovoltaik für die Gebäude sind Pflicht. Der Fokus liegt nicht mehr auf internationalen Unternehmen, die große Hallen errichten; mittlerweile geht es vor allem darum, ortsansässigen Betrieben Erweiterungsmöglichkeiten zu bieten. Im Frühjahr 2022 hat der Verkauf der Gewerbeflächen begonnen. Er läuft gut.

Eine positive Bilanz also, die Willichs Bürgermeister Christian Pakusch beim Rückblick auf „50 Jahre Gewerbegebiet Münchheide“ zieht: „Münchheide ist ein wesentlicher Faktor für das wirtschaftliche Prosperieren unserer Stadt: Arbeitsplätze vor der Tür; Einnahmen, aus denen Infrastruktur finanziert werden kann. Unser Dank gilt allen, die sehr früh mit Weitblick diese Chance erkannt haben.“ Seine Zukunftsprognose: „Eine mit Augenmaß betriebene Ansiedlungspolitik wird weiterhin dafür sorgen, dass ‚Münchheide‘ als Synonym für erfolgreich betriebene kommunale Wirtschaftspolitik steht.“