Tönisvorst Wenn zum Fest Probleme auftauchen
Bei akuten Fällen in Familien greift oft die Polizei ein. Danach ist das Jugendamt gefragt.
Tönisvorst. Da sind einerseits die Besinnlichkeit und die Ruhe, die sich wohltuend über die Feiertage legen und die dafür sorgen, dass viele Menschen im Kreise ihrer Lieben tatsächlich ein Stück weit abschalten können. Aber das Fest kennt auch die andere Seite. Wenn es beispielsweise mit der so sehr herbeigewünschten Harmonie nicht klappen will. Wenn Vorwürfe hochkommen. Wenn die so sehr herbeigesehnte Harmonie kippt. Sind dann noch Kinder oder Jugendliche im Spiel, kommt es immer wieder vor, dass das Jugendamt eingeschaltet wird.
Das Fest der Familie
„In den vergangenen Jahren war’s zum Fest eigentlich immer ruhig“, sagt Detlef Heuer vom Jugendamt, der mit mehreren Kollegen an der Benrader Straße in St. Tönis sitzt, über dem Action-Einkaufsmarkt. Nein, da Weihnachten auf ein ganz normales Wochenende falle, sehe er keine besonderen Schwierigkeiten auf das Jugendamt zukommen. „Was aber nicht heißt, dass nichts passiert“, sagt Heuer. Einen ruhigen Tag prognostizieren, das können weder er noch Mitarbeiter. Die Erfahrung lehrt etwas anderes.
Wie also funktioniert der Betrieb über die Tage? „Wenn Jugendliche involviert sind, läuft es oft über die Polizei“, so Heuer. Die schaltet bei Bedarf die sogenannte Pädagogische Ambulanz ein, die ihren Sitz in Kaarst hat.
Es ist so etwas wie eine Standardsituation: Ein Konflikt in einer Familie eskaliert, die Polizei wird eingeschaltet. Oft hilft das Auftauchen der Beamten schon, dass sich die Lage beruhigt. Ist das nicht der Fall, wird die Kaarster Stelle eingeschaltet. Deren Mitarbeiter holen zum Beispiel ein Kind aus der Familie. Sobald am nächsten Werktag die Jugendamts-Mitarbeiter im Dienst sind, kümmern sie sich um die Angelegenheit.
„Meistens geht es um Kinder, die weggelaufen sind“, erklärt Melahat Demirkaya, ebenfalls Mitarbeiterin des Jugendamtes in St. Tönis. Oder es sind Hinweise der Polizei, dass etwas schiefläuft. Demirkaya erinnert sich an einen Fall, in dem eine alleinerziehende Mutter zuviel getrunken hatte und auf der Straße der Polizei aufgefallen war. „In dem Fall wurde der getrennt lebende Vater geholt und der hat sich um die Kinder gekümmert“, erklärt die Expertin. Eines haben fast alle Probleme gemeinsam: Es gibt kein wirkliches Muster. Jeder Fall liegt anders, muss entsprechend anders gehandhabt werden. „Wir müssen dann schauen: Wo können wir helfen. Wo sind Gemeinsamkeiten, die man nutzen kann“, erklärt Demirkaya.
Detlef Heuer, Mitarbeiter des Jugendamtes
Dann wiederum gibt’s die absoluten Katastrophen. Wenn etwa — wie vor knapp drei Jahren — vor der Katholischen Grundschule in St. Tönis. Dort hatte ein 51-Jähriger seine Ehefrau umgebracht, weil er mit der sich anbahnenden Trennung nicht klar kam. „Diese Kinder, die bei der Mutter lebten, wurden schnell abgeholt und notfallmäßig untergebracht. Mittlerweile leben sie in einer Pflegefamilie“, erläutert Demirkaya.
Dabei, das beton beide Jugendamts-Mitarbeiter immer wieder, besteht der Alltag nicht aus diesen spektakulären Fällen. Es geht um Erziehungsprobleme, auch schon mal um Vernachlässigung. Wo der Fokus des Jugendamtes liegt, ist klar: immer bei den Kindern. Deren Wohl geht vor und im Zweifelsfall auch deren Wille.
Oft hilft bei Konflikten in der Familie schon eine e räumliche Trennung, und sei es nur für ein paar Tage. „Wir sind Anbieter von Hilfe und können viele Ratschläge und Hinweise geben“, erklärt Heuer. An die Grenzen stoßen er und seine Kollegen dann, wenn Kinder gefährdet sind, siehe oben. „Dann sind wir auch Wächter und Kontrolleure“, sagt Heuer. In dieser Funktion muss er oft genug versuchen, Eltern in die Pflicht zu nehmen. Natürlich sei sehr schwierig, den staatlichen Schutzauftrag durchzusetzen.
Oft genug kommen „ganz normale Eltern“ zum Jugendamt, suchen dort Rat. Oder es geht um Frage des Umgangsrechtes. Hier bietet das Jugendamt immer eine Schlichtung an, bevor die Angelegenheit vor Gericht landet.
In vielen Fällen wissen die Leute vom Jugendamt, mit wem sie es zu tun haben, sie kennen vielfach die Familien. Und dabei kommt es vor, dass sich eine Situation zuspitzt und genau das der Auslöser ist, sie letztlich zu entspannen oder gar zu lösen. „Es kommt auch vor, dass die Kinder es schaffen, die Eltern an einen Tisch zu bekommen“, so Heuer. Das geschehe häufig aus der Motivation heraus, eine Scheidung zu verhindern.
Melahat Demirkaya, Mitarbeiterin des Jugendamtes
Und weil die „normale“ Arbeit logischerweise nicht in der öffentlichen Betrachtung steht, gerät das Jugendamt oft dann ganz schnell in die Kritik, wenn es um spektakuläre Fälle geht. Beide Jugendamts—Mitarbeiter sagen es nicht laut, aber Gespräche mit Boulevard-Journalisten versuchen sie möglichst zu vermeiden. Just dann, wenn es wirklich nötig wäre, werde das Jugendamt nicht oder nur oberflächlich gehört.
Wie ist es denn, wenn ein wirklich belastender Arbeitstag zu Ende ist? Nimmt man die Probleme mit nach Hause? Schüttelt man sie ab? „Man muss lernen, damit umzugehen“, sagt Melahat Demirkaya. Sie erinnert sich noch allzu gut an den Tag, als sie ein Baby aus einer Familie holen musste, um es in Sicherheit zu bringen, „Inobhutnahme“ heißt das. „Aber letztlich hilft später immer das Wissen, dass du etwas Richtiges tust“, sagt sie.
Auch für Detlef Heuer ist das ein entscheidender Punkt: „Oft helfen Gespräche, zum Beispiel mit den Kollegen.“ Man müsse den Alltag so bewältigen. „Sonst bist du ruiniert.“
Also: Gewappnet sein, wenn es wirklich schlimm kommen sollte. Bleiben wir bei der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass so etwas geschieht: Wahrscheinlich steht ein ruhiges, unauffälliges Weihnachtsfest vor der Tür.