„Wir freuen uns über jeden, der kommt“

Tahir Yavuz, Vorsitzender des Moscheevereins Lobberich, über Flüchtlinge, das Freitagsgebet und das neue Minarett der Moschee.

Foto: jobu

Nettetal. Der Vorsitzende des Moscheevereins Lobberich berichtete als Gast auf der Jahreshauptversammlung des SPD-Ortsvereins Nettetal, welche Auswirkungen die zunehmende Zahl von Flüchtlingen auf die muslimische Gemeinde hat. Dabei schilderte er Erfolge und Probleme bei der Integration von Migranten, stellte sich kritischen Fragen zum Freitagsgebet. Im Interview bezog Yavuz hinterher Stellung unter anderem zu Vorurteilen gegenüber der muslimischen Gemeinde.

Was genau ist eigentlich der Moscheeverein?

Tahir Yavuz: Der offizielle Name lautet Türkisch-Islamischer Kulturverein Nettetal. Wir haben rund 230 Mitglieder, bilden die Türkisch-Islamische Gemeinde zu Nettetal. Aber die Zahl der Muslime in Nettetal ist größer, viele kommen zu uns in die Gemeinde, jeder ist bei uns willkommen, bei unseren Veranstaltungen oder beim Freitagsgebet in der Moschee.

Apropos Freitagsgebet: Täuscht der Eindruck, oder hat Sie die Frage eines SPD-Mitglieds nach möglichen Gewaltaufrufen in den Freitagsgebeten sehr irritiert?

Yavuz: Solch eine Frage bestürzt mich zutiefst, sie macht mich traurig, zeigt sie doch, wie viele Vorurteile vorherrschen, wie wenig wir voneinander wissen. Tatsächlich geht es in den Predigten bei unseren Freitagsgebeten grundsätzlich nur um Religion und Ethik. Es mag irgendwo andernorts auch zwielichtige Veranstaltungen geben, aber das sind ganz seltene Ausnahmen, wie es sie wohl in allen Religionen gibt.

Mag das Vorurteil nicht auch daher kommen, weil auf Türkisch oder Arabisch gepredigt wird und Außenstehende keinen Einblick haben?

Yavuz: Auch das ist nicht ganz richtig. Zum einen kommen die Predigttexte zentral von DITIB, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, der wir auch angehören. Und die Predigten werden immer schon am Vorabend, also donnerstags, ins Internet gestellt. Dort kann sie jeder unter www.ditip.de nachlesen, und zwar auf Deutsch. Zum anderen wird bei uns in der Moschee normalerweise der Predigttext hinterher auch auf Deutsch vorgelesen. Denn die jungen Leute aus türkischstämmigen Familien können oft besser Deutsch als Türkisch, und auch manche Flüchtlinge sprechen und verstehen eher Deutsch.

Wie wirkt es sich auf Ihre Gemeinde aus, dass neuerdings auch muslimische Flüchtlinge kommen?

Yavuz: Wir freuen uns über jeden, der zu uns kommt. Ich habe Hochachtung davor, wie sehr die meisten Flüchtlinge sich bei uns, nicht nur in der islamischen Gemeinde, auch in der Stadt Nettetal, mit einbringen, wie sehr sie sich um Integration bemühen und darum, die Sprache zu lernen. Während Türken, die hierher kamen, früher oft auf sich alleingestellt waren, hat man heute erkannt, dass Migranten bei der Integration unterstützt werden müssen. Und Integration geht nur über die Sprache, das sage ich auch immer den Menschen aus türkischstämmigen Familien. Übrigens bedeutet für mich gelungene Integration, wenn Menschen hier ihre Heimat sehen. Deshalb freue ich mich, dass immer mehr muslimische Beerdigungen hier stattfinden.

Was und wie trägt Ihre Gemeinde zur Integration bei?

Yavuz: Wir haben einige Aktivitäten, laden zu unseren Veranstaltungen ein, nicht nur am Tag der offenen Moschee, auch zum Fastenbrechen. Sehr aktiv ist der Kreis muslimischer und christlicher Frauen, die sich regelmäßig treffen. Leider laufen sonst kaum gemeinsame Aktivitäten der Religionen und Konfessionen miteinander, in Nettetal gibt es auch keinen christlich-islamischen Arbeitskreis wie in vielen anderen Kommunen. Ich bedaure das.

Es gab Gespräche mit den christlichen Kirchen über den Bau eines Minaretts. Nun steht das Minarett — gibt’s Reaktionen?

Yavuz: Erstaunlicherweise so gut wie gar nicht. Wir haben das Minarett, das nicht sonderlich auffällig ist, vor zwei Monaten aufgestellt, aber keine offizielle Feier gemacht. Vielleicht holen wir das nach, aber vor allem die politische Situation scheint uns dafür nicht günstig. Das zeigen Vorurteile wie die erwähnte Frage nach dem Freitagsgebet oder parteipolitische Stimmungsmache gegen Muslime. Da fehlt der Respekt im Umgang miteinander. Dabei ist genau das das Wichtigste.