Mönchengladbach im Jahr 1919 1919 treten Frauen erstmals an die Wahlurne
Mönchengladbach · Vor 100 Jahren durften Frauen in Mönchengladbach und Rheydt nicht nur wählen – sie zogen auch in die Räte ein.
. Lange waren in den Stadtparlamenten von Mönchengladbach und Rheydt die Männer unter sich. Frauen durften weder wählen noch gewählt werden. Nicht in die Stadtverordnetenversammlungen, nicht in die preußische Landesversammlung und auch nicht in den Reichstag. Das preußische Vereinsgesetz von1850 verbot Frauen sowohl die Mitgliedschaft in politischen Vereinen als auch den Besuch politischer Veranstaltungen. Die Begründungen: Frauen seien zu ungebildet, um zu wählen, ihr Hirn sei zu klein zu klugem Denken und außerdem seien sie körperlich nicht belastbar. Der Psychiater Paul Julius Möbius postulierte sogar einen „physiologischen Schwachsinn des Weibes“. Trotz alledem: 1918 wurde das Frauenwahlrecht eingeführt und 1919 konnte Frauen in Deutschland erstmals wählen.
Die belgische Besatzungsmacht in Mönchengladbach und Rheydt hatte 1918 Neuwahlen zu den Stadtverordnetenversammlungen verhindert. Deshalb konnten die Bürgerinnen in beiden Städten erst 1919 von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Am 19. Januar 1919 bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung traten erstmals Frauen an die Urnen. Hatten sich zuvor während des Kaiserreichs noch viele Vereinigungen und Verbände strikt gegen das Frauenstimmrecht ausgesprochen wie der Deutsche evangelische Frauenbund oder die Zentrumspartei, so warben nun alle Parteien um die Stimmen der weiblichen Wähler. Kein Wunder, denn sie waren in der Mehrheit. In Neuwerk beispielsweise waren 6785 Frauen, aber nur 4878 Männer im Januar 1919 wahlberechtigt. Die Frauen nahmen ihr Wahlrecht begeistert wahr: Deutschlandweit gaben 82,3 Prozent der Frauen ihre Stimme ab. 37 Frauen zogen in die Nationalversammlung ein. In Mönchengladbach erhielt bei diesen Wahlen das Zentrum mit 58,8 Prozent den Löwenanteil der Stimmen, die SPD folgte mit 14 Prozent.
Rheydt beriet Frauen und Mädchen in Wahlangelegenheiten
Am 30. November 1919 wurden in Gladbach und Rheydt die neuen Stadtverordnetenversammlungen gewählt. Die Parteien versuchten, die Wählerinnen für sich zu gewinnen. So verkündete die Deutschnationale Volkspartei, sie sei der Auffassung, dass Frauen in den Stadtparlamenten und in vielen für die Frau geeigneten Kommissionen vertreten und gehört werden müssten. Sie sei die einzige bürgerliche Partei, die diesem berechtigten Verlangen der Frauen Rechnung trage. Das konnte die DNVP behaupten, denn die SPD, die sich stets für das Frauenwahlrecht stark gemacht hatte, galt nicht als bürgerliche Partei. Die Politisierung der Frauen nahm zu, sie besuchten politische Veranstaltungen und sogar der Deutsche evangelische Frauenbund, der sich so vehement gegen das Frauenwahlrecht gesträubt hatte, richtete in seiner Geschäftsstelle in Rheydt in der damaligen Kaiserstraße eine Auskunftsstelle für Frauen und Mädchen über Wahlangelegenheiten ein. Frauen wählten nicht nur, sie wurden auch gewählt. In Mönchengladbach zogen Frauen in den Stadtrat ein:
Antonie Boetzelen kandidierte für die Deutsche Volkspartei. Sie war Witwe eines Textilfabrikanten und in der Geschäftsführung des Unternehmens aktiv. Schon zuvor war sie in vielen Frauenvereinigungen Vorstandsmitglied gewesen. Anna Hartges zog für die SPD in den Rat ein, Paula Schurz für die Zentrumspartei.
Die erste Wortmeldung einer Frau im Rat ist überliefert
In Rheydt waren es die Lehrerin Anna Künning, die Putzmacherin Luise Mund, die Hausfrau Sofia Röllkes und die Wohlfahrtspflegerin Louise Auguste Klingelhöffer, die in den Rat einzogen.
Auch die erste Wortmeldung einer Frau im Rheydter Stadtparlament ist überliefert. Anna Künning forderte: „Es wird Hilfe für die Jugend verlangt, ja, aber es ist auch Hilfe für die ganze Menschheit nötig.“ Es ging um den Film „Sündiges Blut“, bei dem „ein Frauenzimmer bis auf die Hüften entkleidet zu sehen ist“, wie der Stadtverordnete Pohlen dazu anmerkte.
Die Rheydter Stadtverordneten, egal ob männlich oder weiblich, wünschten sich eine Zensur oder ein Verbot des Films.