Lesung: Peter Schneider über das Leben der Mutter
Der Auftakt des 15. Literarischen Sommers berührt und fasziniert die Gäste.
Mönchengladbach. Die 15. Auflage des Literarischen Sommers bringt keinesfalls lauwarme Luft nach Mönchengladbach. Das gilt ebenso für die Temperaturen — das heiße Wetter sorgt an diesem Abend für schwüle Hitze in der Stadtteilbibliothek Rheydt — wie für den Autor.
Peter Schneider eröffnet den Reigen der vier Lesungen, die im Rahmen des deutsch-niederländischen Literaturfestivals stattfinden, mit einem sehr persönlichen und anrührenden Vortrag. Bekannt ist er vor allem als politischer Schriftsteller und Essayist. Er werde der sogenannten 68er-Generation zugerechnet, stehe schon lange „auf unserer Wunschliste“ und sei ein „einzigartiger Erzähler“, führt Arno van Rijn den Schriftsteller ein.
Damit hat der Festival-Organisator der Mönchengladbacher Stadtbibliothek dem Publikum nicht zu viel versprochen. „Die Lieben meiner Mutter“ heißt das Buch, aus dem der Gast aus Berlin liest — eine autobiografische Familiengeschichte, die die Besucher sofort in den Bann zieht. Für Schneider ist es kein ungewohntes Bild, dass besonders Zuhörerinnen zu seiner Lesung gekommen sind „Ganz klar, dass Frauen dieses Buch mögen“, sagt er. Es ist ein „richtig trauriges Buch“, eine Kriegsgeschichte, die in Peter Schneiders Kindheit zurückreicht und dem Leben seiner bereits mit 40 Jahren verstorbenen Mutter ein Denkmal setzen soll, erklärt der 1940 geborene Schneider.
Als Kriegskind erlebte er mit Mutter und drei Geschwistern die Flucht aus Königsberg. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1978 kam Schneider in den Besitz der Briefe, die seine Mutter während der Flucht bis zu ihrem Tod 1948 verfasste.
Mehr noch als die Tatsache, dass sie Bekenntnisse ihrer Liebe zu einem anderem Mann als dem Vater waren, ergriff den Sohn das künstlerische Talent dieser persönlichen Zeugnisse. „Meine Mutter hat wunderschön geschrieben“, findet Schneider. Deshalb enthält sein Buch auch die unveränderten Originale ihrer Korrespondenz.
Für den Autor ist die Preisgabe intimster Details kein Verrat an seiner Mutter. Sein Buch sei ein beispielhaftes historisches Zeugnis für das Schicksal der Frauen im zweiten Weltkrieg. Außerdem habe die Mutter selber nie ein Geheimnis aus ihren Beziehungen gemacht, so Schneider. Für den Sohn oft nur schwer erträglich ist dagegen das, was er als „Liebeswahn“ oder „Hingabedrang“ seiner Mutter an ihren Geliebten bezeichnet.
Fasziniert ist der Autor dagegen von ihrem Freiheitsdrang und ihrer Durchsetzungskraft. Auch seine Zuhörerinnen würdigen das Buch als eine einzigartige Geschichte weiblicher Emanzipation. Warum Schneiders Vater von den Liebhabern wusste, die Mutter jedoch nie verließ, weckt bei den zahlreichen Gästen zwar Neugierde, aber keine Kritik: „Die kommt meist von den Männern“, erzählt Schneider lächelnd.