Wissenschaft Die Bibel im Dämmerlicht

Münster · An diesem Freitag wird das Bibelmuseum der Universität Münster wiedereröffnet. Es ist angedockt an die Gralshüter des griechischen Urtextes.

Jan Graefe, Kustos des Bibelmuseums Münster, mit einer Tontafel aus der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr., entstanden im Kulturvolk der Sumerer. Die Tafel ist rundherum mit einem Schöpfungsbericht beschrieben – Jahrhunderte vor der Entstehung der biblischen Schöpfungserzählung.  

Foto: WWU – MünsterView

Der Ausstellungsraum ist fast dunkel, nur eine Beleuchtungsstärke von weniger als 50 Lux sorgt für die nötige Orientierung. Die beiden 13 Meter langen und drei Meter hohen Vitrinen sind klimatisiert, um die 50 Prozent Luftfeuchtigkeit, konstant 18 bis 20 Grad. Das ist notwendig, denn die Geschichte, die hier aufbewahrt wird, ist empfindlich: Ton, Leder, Pergament, Papyrus. Es ist die Geschichte der Bibel. Oder des Buches. So genau ist das nicht auseinanderzuhalten. „Die Geschichte der Bibel ist auch die Geschichte des Buches“, sagt Holger Strutwolf.

Der evangelische Theologieprofessor ist Direktor des Instituts für Neutestamentliche Textforschung und des Bibelmuseums in Münster. Und für ihn sowie Kustos Jan Graefe ist dieser Freitag ein besonderes Datum. An diesem Tag wird das 1979 gegründete Bibelmuseum nach fünfeinhalb Jahren Umbauzeit wiedereröffnet. 1,7 Millionen Euro sind investiert worden, damit Deutschlands einziges universitäres Bibelmuseum seine Schätze angemessen präsentieren kann. Das Museum ist dabei quasi der Schnittpunkt zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit: An allen rund 1500 Exponaten kann auch geforscht werden.

Der Standort Münster ist kein Zufall: Das Institut für Neutestamentliche Textforschung ist eine Art Gralshüter des griechischen Urtexts der 27 neutestamentlichen Bücher. Der nach seinen ersten Herausgebern benannte „Nestle-Aland“ wird hier betreut und bietet in der aktuell 28. Ausgabe den derzeitigen Stand der Wissenschaft und die Basis für weltweit alle wichtigen Übersetzungen des Neuen Testaments. Auch der katholische Einheitsübersetzung (2016) und der revidierten Lutherbibel (2017) liegt er zugrunde.

Originale Handschriften der neutestamentlichen Schriften existieren nicht, nur Abschriften späterer Jahrhunderte. Rund 5700 sind derzeit bekannt, mal komplett, mal nur Fragmente. Das mutmaßlich älteste, das sogenannte Papyrus 52, umfasst nur wenige Worte des Johannesevangeliums und wird im Original in Manchester aufbewahrt. 22 dieser Handschriften nennt auch Münster sein Eigen. Abschriften aber haben ein Problem: Sie können fehlerhaft sein oder an manchen Stellen auch bewusste redaktionelle Eingriffe des Verfassers enthalten. Die Suche nach dem Urtext ist daher eine Forschungsaufgabe für die Ewigkeit: Jeder neue Fund kann zu neuen Einschätzungen führen.

Was kann man einem Museum über die Bibel lernen? Zum Beispiel, dass sie nicht vom Himmel gefallen ist. Eine Tontafel zeugt in Münster von einem Schöpfungsbericht aus der Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. und damit weit vor der Entstehung der biblischen Schöpfungserzählung. Die gibt es übrigens im 1. Buch Mose gleich in zwei unterschiedlichen Fassungen – zusammen mit den vorbiblischen Einflüssen leuchtet so auch jedem Laien unmittelbar ein, dass es den biblischen Autoren um Tatsachenberichte also nicht gehen kann, wohl aber um die poetische Beschreibung von Glaubenswahrheiten.

Ein Lehmziegel vom
Turmbau zu Babel

Umgekehrt bekommen biblische Geschichten aber auch plötzlich einen realen Bezug. Der berühmte Mythos vom Turmbau zu Babel und der göttlichen Zerstreuung der Menschen in viele Völker und Sprachen ist ein schönes biblisches Bild für die Vielfalt auf Erden. Den Tempelturm in Babylon hat es aber tatsächlich gegeben. Ein Stein von ihm ruht hinter dem Vitrinenglas, versehen mit einem Stempel des einstigen Königs Nebukadnezar, der 562 v. Chr. starb. Mithilfe des Analytik-Labors der Firma Tesa in Norderstedt bei Hamburg konnte im vergangenen Jahr sogar auch das Bindemittel analysiert, das auf dem Lehmziegel zu erkennen ist. Es handelt sich um Bitumen (Erdharz) – wie im biblischen Text erwähnt („. . . und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel“).

Eine Bibelausgabe liegt Direktor Strutwolf besonders am Herzen: eine Lutherbibel aus dem Jahr 1545. Im Jahr darauf versah sie der Reformator mit einer Widmung. Da Martin Luther am 18. Februar 1546 in Eisleben starb, handelt es sich um eine seiner letzten Lebensäußerungen. Ausgewählt hat er einen Vers aus dem dritten Kapitel des Johannesevangeliums: „Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde“, heißt er in heutiger Übersetzung. Für den so streitbaren wie umstrittenen Reformator ein versöhnlicher Ausblick unmittelbar vor seinem Tod.