Geflüchtete Ukrainer in Meerbusch Zwischen Krieg und deutschem Alltag
Meerbusch · Der Krieg in der Ukraine hat Familien auseinandergerissen. Während die beiden Frauen Hanna und Viktoria in den vergangenen drei Jahren in Meerbusch Fuß gefasst haben, blieben Sohn und Ehemann im Land zurück.
Drei Jahre in der Fremde, die für manche inzwischen zur neuen Heimat geworden ist. Wie fühlt sich das an? Drei Ukrainer, die im Februar 2022, also vor genau drei Jahren, aus ihrem Land geflohen sind, das von Russland mit Krieg und Bomben überzogen wurde und wird, erzählen.
„Ich erinnere mich noch gut an die erste Nacht, als ich aufwachte, weil in der Nähe Bomben fielen“, berichtet Hanna, die damals in Kiew wohnte. Sofort sei sie mit ihren Kindern vom zwölften Stock ihres Hauses in den Keller geflüchtet, habe später Schutz in der U-Bahn gesucht. Schnell reifte in ihr der Entschluss, ins Ausland zu fliehen, zumal ihr zweiter Mann, der jüdischen Glaubens ist, bereits in Israel lebte und versuchte, für die ganze Familie eine Einreiseerlaubnis zu erlangen. Hanna und ihre Tochter flohen über Polen nach Deutschland. Ihren Sohn, der damals 19 Jahre alt war, musste sie in Kiew zurücklassen, da er nicht ausreisen durfte. Allerdings traf sie hier ihre Mutter wieder, die selbst aus Tschernihiw geflohen war. Zusammen konnten sie eine kleine Wohnung in Osterath beziehen.
„Im ersten Jahr erhielt ich Sozialhilfe, aber ich wollte wieder selbst für mich sorgen“, erzählt die 49-Jährige, die in der Ukraine als Sales Managerin bei einer IT-Firma gearbeitet hatte. Dafür musste sie zunächst die deutsche Sprache lernen, belegte Kurse bei der VHS und der IHK. Aber schon nach einem Jahr konnte sie als Mini-Jobberin in einem Merchandising-Unternehmen anfangen. „Dann wurde es Teilzeit und heute arbeite ich als einzige Vollzeit-Beschäftigte in der kleinen Firma“, berichtet sie nicht ohne Stolz.
Hannas Tochter geht aufs Mataré-Gymnasium, wo ihr besonders der lockere Umgang der Lehrer mit den Schülern gefällt. Hannas Sohn hat in der Ukraine inzwischen seinen Master gemacht, hat geheiratet und erwartet ein Baby. Das hört sich fast nach einem normalen Leben an, doch der Krieg ist allgegenwärtig und ob der junge Mann nicht doch noch in den Krieg muss, kann sich täglich entscheiden. Hanna will auf jeden Fall in Deutschland bleiben, es sei denn, die Einreise nach Israel lässt sich noch realisieren.
Auch Viktoria floh gleich zu Kriegsbeginn, da ihre Heimatstadt in der Nähe von Saporischscha wegen des Atomkraftwerks schnell umkämpft war. „Eigentlich wollte ich nicht fliehen, aber mein Mann drängte mich wegen unserer beiden Söhne dazu“, erinnert sich die 37-Jährige. Sie hätten ein gutes Leben in der Ukraine gehabt. Ihr Haus war frisch renoviert, ihre Familie lebte in der Nähe und ihr Beruf in einem großen Logistikunternehmen machte ihr Spaß. Heute haben Viktoria und ihre Söhne nur über die sozialen Medien Kontakt zum Ehemann und Vater. Doch ihre Söhne sprechen inzwischen fließend deutsch, aber wenig ukrainisch oder russisch. „Sie können sich kaum mit ihrem Vater unterhalten“, bedauert Viktoria. „Sie fühlen sich schon als Deutsche und wollen nicht zurück.“
Sie selbst hat inzwischen auch Fuß gefasst. Nach Absolvierung der Sprachkurse arbeitet sie nun Vollzeit bei einer großen Spedition. Abends macht sie zudem online Sprachkurse, um das berufliche Fachvokabular zu vertiefen. Da bleibe leider wenig Zeit für die Kinder. Ob sie zurückwolle? „Da ist so viel kaputt. Jeden Tag gibt es Luftangriffe. Das Leben ist sehr schwer“, zählt sie auf. Ihren Eltern schicke sie etwas Geld, da deren Rente sehr niedrig sei. Die Zukunft sei offen.
Der 24-jährige Vitalii will auf jeden Fall zurück in die Ukraine, wenn Frieden herrscht. Er kam mit Mutter, Großmutter und Bruder vor drei Jahren nach Meerbusch, doch so richtig zuhause fühlt er sich nur in seiner Heimatstadt in der Nähe von Kiew. Sein 16-jähriger Bruder hielt das Heimatweh nicht aus und lebt inzwischen wieder in der Ukraine bei seinen Großeltern. Der Vater ist als LKW-Fahrer viel unterwegs. Vitalii bekam 2022 die Erlaubnis auszureisen, weil er mit Behinderungen leben muss und somit nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden kann. Er hat mehrere Deutschkurse gemacht und beim Kolping Bildungswerk Ausbildungslehrgänge als Lagerist und IT-Bürokaufmann absolviert. „Ich kann nun auch Gabelstapler fahren“, erzählt der studierte Lebensmitteltechniker. Er sucht nun eine Arbeit bei einem Supermarkt, um Geld zu verdienen. Und hofft darauf, dass die Rückkehr in nicht allzu großer Ferne liegt.