125 Jahre Bäckerei Wieler Fünf Generationen Backtradition
Meerbusch · Die Bäckerei Wieler feiert ihr 125-jähriges Bestehen. Inzwischen gibt es zehn Filialen, gebacken wird nach wie vor in Lank.
Man muss lange suchen, bis man in Meerbusch einen Handwerksbetrieb findet, der eine ähnlich beeindruckende Tradition aufzuweisen hat wie die Bäckerei Wieler. 1898 von Johann Wieler gegründet, blieb sie seitdem ununterbrochen im Familienbesitz – von Generation zu Generation. Inzwischen steuern zwei Frauen die Geschicke: Sylvia Wieler als Geschäftsführerin, ihre Tochter Hannah als Leiterin der Produktion. Die 24-Jährige ist gelernte Bäcker- und Konditormeisterin und absolviert gerade noch zusätzlich ein berufsbegleitendes BWL-Studium mit Schwerpunkt Bäckerei-Management. „Ich bin so froh, dass sie mir so toll zur Seite steht“, sagt Sylvia Wieler. „Mit Hannah übernimmt die fünfte Generation Verantwortung für unsere Bäckereien.“ Sieben Standorte sind es inzwischen in Meerbusch, dazu kommen zwei Filialen in Neuss und eine in Willich-Neersen. Produziert wird ausschließlich am Standort in Lank.
Der November geht als Jubiläumsmonat in die Wieler-Geschichte ein. Und natürlich wird der 125. Geburtstag ordentlich gefeiert. „In erster Linie mit unseren Mitarbeitern“, sagt Sylvia Wieler. „Vor allem ihnen und ihrer Loyalität gehört unser Dankeschön. Sie sind unser allergrößtes Kapital, das wir heute mehr denn je zu schätzen wissen. Viele sind schon über Jahrzehnte bei uns.“ Die Party stieg am 18. November im benachbarten Diva in Lank, mit Cocktails, Essen und Musik. Und mit einer stattlichen Truppe von mehr als 100 Gästen: den 90 Festangestellten, den Aushilfen und auch ehemaligen Mitarbeitern. „Eine Rentnerin reiste extra aus Nürnberg an“, berichtet Sylvia Wieler. „Wir haben in unserem Betrieb ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und den Familiengedanken als wichtigstes Gut immer gelebt.“ Auch die Bäckerei-Kunden sollen im November ein kleines „Geburtstags-Goodie“ bekommen, einen Baumwollbeutel. Einige Brot- und Brötchen-Spezialitäten werden zum Sonderpreis angeboten.
Dennoch schleicht sich in das fröhliche Fest auch Wehmut ein. Beim 120. Firmenjubiläum 2018 war Jochen Wieler noch der Chef. Bald darauf erkrankte er schwer. Dennoch kam sein Tod 2019 völlig überraschend. Seine Witwe musste ihn von heute auf morgen ersetzen und den Betrieb managen. „Es half alles nichts, ich musste mich in meiner großen Trauer irgendwie durchbeißen. Auch in diesen schweren Tagen waren unsere treuen Mitarbeiter meine wichtigste Stütze“, sagt sie. Einschlägige Erfahrung aus dem kaufmännischen Bereich brachte Sylvia Wieler mit. Seit ihrer Heirat 1990 hatte in der Wieler-Verwaltung gearbeitet. „Ich bin da reingeschlittert. Mein Mann musste den Betrieb nach dem frühen Tod seines Vaters ebenso plötzlich übernehmen wie ich“, erzählt sie. „Beide starben mit nur 56 Jahren.“ Vom Backen selbst verstand sie wenig. „Umso glücklicher war ich, dass Hannah sich schon damals für die Nachfolge entschieden hatte. Das Geschäft in fremde Hände zu geben, wäre uns niemals in den Sinn gekommen.“ Man habe sie nie in den Beruf gedrängt, versichert Hannah Wieler. „Er war immer mein Wunsch, und er macht mir bis heute sehr viel Spaß.“
Vorlesungen an der
Uni schlucken viel Zeit
In der Backstube aufgewachsen wie einst ihr Vater sei sie aber nicht. Als Teenager habe sie im Verkauf ihr Taschengeld aufgebessert, erzählt sie. „Das Interesse für den Betrieb war natürlich da, aber richtig kennengelernt habe ich ihn erst in der Lehre, das war 2017 nach meinem Abitur. Allerdings kann ich mich sehr gut an das wohlige Gefühl erinnern, wenn ich beim Heimkommen den Duft nach frischem Brot erschnupperte. Das war mein Zuhause, das war Geborgenheit.“
Und wie alle ihrer Zunft liebte auch Hannah Wieler nach einer Nachtschicht den Anblick der frischen Backwaren in den Regalen: „Man sah, was man mit eigenen Händen geformt und geleistet hatte, etwas Befriedigenderes gibt es kaum.“ Heute sind die Nachtschichten etwas seltener geworden, Online-Vorlesungen und die gelegentliche Präsenz an der Uni Mannheim schlucken viel Zeit. Doch nach wie vor gilt ihre Leidenschaft der Entwicklung neuer Produkte - damit der Spagat zwischen Tradition und Innovation auch künftig gelingt.
Wirtschaftlich stand die Bäckerei immer gut da. Aber Sylvia Wieler musste auch harte Zeiten durchstehen. „Kaum hatte ich den Betrieb übernommen und geglaubt, das erste Mal etwa aufatmen zu können, kam Corona“, erinnert sie sich ans Frühjahr 2020. „Als wir dazu übergingen, die Mitarbeiter in Schichten einzuteilen, dachten wir an zwei, drei Wochen, doch nicht an zwei Jahre.“ Mutter und Tochter steuerten den veränderten Pandemie-Betrieb durch alle Untiefen. „Wir führten damals eine Mittagspause ein, um alles zu desinfizieren und durchzulüften“, sagt Hannah Wieler. „Alle hatten Angst, sich anzustecken, jede Begegnung mit anderen Menschen schien riskant. Deshalb waren unsere Mitarbeiter, die das geschafft haben, die Helden an der Front.“
Fragt man Sylvia Wieler nach den gravierendsten Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, fallen ihr zuerst die veränderten Essgewohnheiten ein, gekoppelt an ein erhöhtes Gesundheitsdenken. „Wir haben überhaupt keine Sahnetorten mehr im Sortiment, und wir süßen deutlich weniger“, sagt sie. „Bei den Zimtsternen haben wir in einem Jahr die Zuckermenge um die Hälfte reduziert.“ Auch viele Brote wurden von 1500 Gramm auf 750 Gramm verkleinert, ein Zugeständnis an die Single-Haushalte. Die heute üblichen, ins Geschäft integrierten Cafés habe es früher nicht gegeben: „Das fing mal ganz klein mit einem einzigen Tischchen an.“ Hannah Wieler führt die Besinnung auf alte Getreidesorten wie Dinkel an oder die neu erwachte Liebe zum Filterkaffee. „Generell ist zu beobachten, dass die Sortimente verschmälert werden, dafür aber viel mehr Wert auf Qualität gelegt wird“, ergänzt sie. „Keine überladenen Produkte, sondern präzise ausgewählte Sachen, bis ins letzte Detail.“
Irgendwelche Auffälligkeiten bei den einzelnen Filialen? Mutter und Tochter sehen sich an, lachen und sagen wie aus einem Mund: „Die Rosinen!“ Dieses Phänomen zeigte sich momentan wieder bei den Weckmännern zu St. Martin. Typisch rheinisch werden sie in Lank gern „mit“ bevorzugt. Doch je näher die Bäckerei an Düsseldorf rücke, werden Rosinen verschmäht, etwa in Büderich. Manche St. Martin-Komitees bestellten die einst begehrte Zutat mittlerweile nur noch für Erwachsene, Zugbegleiter und Senioren. „Immer weniger Kinder mögen Rosinen“, haben die Wielers beobachtet.
November und Dezember sind die arbeitsreichsten Monate. Erst kommt St. Martin, dann Nikolaus, dann die Weihnachtssaison. „Eine Mitarbeiterin kümmert sich bei uns ausschließlich um das Verpacken von Adventsgebäck“, erzählt Sylvia Wieler. „Schon seit Längerem sind unsere Konditoren bis zu vier Mal wöchentlich nur mit Zimtsternen, Printen und Spekulatius beschäftigt. Es wird ja alles frisch gemacht. Wir sind und bleiben eine Handwerksbäckerei.“