Weihnachten in Meerbusch Editha Hackspiel erzählt vom Fest ihrer Kindheit
Büderich · Die 97-jährige Meerbuscher Künstlerin Editha Hackspiel erinnert sich an das Weihnachten ihrer Kindheit in einer großen Familiengemeinschaft. Beide Großeltern, Onkel, Tante und Cousinen lebten mit ihrer Familie Tür an Tür.
„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“ Die Weihnachtsgeschichte hat Editha Hackspiel als kleines Mädchen für den Kindergottesdienst auswendig lernen müssen. Und sie weiß einen Großteil des Textes heute noch. Wenn die 97-jährige Künstlerin von ihrer Kindheit erzählt, dann fühlt man sich als Zuhörer nach einiger Zeit wie in einem alten Weihnachtsfilm oder einer Erzählung von Astrid Lindgren.
Zwar lebt Editha Hackspiel seit 1960 in Büderich, aber aufgewachsen ist sie in Düsseldorf. Doch ähnlich wie in Lindgrens bekannter Geschichte „Wir Kinder aus Bullerbü“ lebte die kleine Editha mit ihren Eltern und Geschwistern Seite an Seite mit Tante, Onkel und Cousinen. Dazu kamen auch noch die Großeltern mütterlicherseits und väterlicherseits. Das kam daher, dass Editha Hackspiels Mutter und ihre Tante eineiige Zwillinge waren: Tine und Mine. Und die beiden hatten Brüder geheiratet. „Wir waren eine große Familie und hatten einen großen Zusammenhalt.“
Da lebten also die vier Familien in benachbarten Häusern in Unterrath. Weihnachten kamen alle zusammen. Traditionell gab es in der Familie am 24. Dezember zum Essen Thüringer Klöße, Hähnchen und Rotkohl. Die Klöße mit rohen und gekochten Kartoffeln machten viel Arbeit.
Am Tag vor Heiligabend wurden Kartoffeln gekocht. Am Tag darauf stand der Vater bei der Mutter in der Küche, drehte die Kartoffeln durch, die rohen wurden ausgedrückt und das Wasser mit der Stärke aufbewahrt und wiederverwendet. Dann, wenn es dunkel wurde Heiligabend, wurde es bei Familie Hackspiel feierlich. „Wir hatten einen großen Tannenbaum. Mein Vater schmückte ihn mit echten Kerzen. Am Christbaum hingen Plätzchen. Die schmeckten besonders gut, wenn wir uns eins abschneiden durften. Und auf dem Tisch lagen die verpackten Geschenkchen.“ Nach der Bescherung ging es nach nebenan zur zweiten Weihnachtsfeier, zur Großmutter mütterlicherseits. „Da setzte meine Großmutter sich erst ans Klavier und dann haben wir Weihnachtslieder gesungen. Danach wurden die Paketchen ausgepackt.“
An ein Geschenk der Großmutter erinnert sich Editha Hackspiel noch besonders: „Einmal hatte sie mir selbstgestrickte Strümpfe gemacht. Lange Hosen trugen wir nicht, das kam erst viel später, sondern kurze Kleidchen. Die Strümpfe wurden mit einem Knöpfchen am Mieder festgehalten. Aber die kratzten!“ Die Mutter wusste Rat, ribbelte die Strümpfe bis zum Knie auf und zog ein Gummiband durch. Schon ging es besser, denn gejuckt hatten sie vor allem an den Oberschenkeln. Als Gegengeschenke hatten Editha und ihre Schwester der Oma Topflappen gehäkelt: aus weißer Baumwolle mit roter Verzierung am Rand.
Bei der Tante gab es selbstgemachten Plumpudding
Anschließend ging es zur Großmutter väterlicherseits. Dort hatte Tante Tine einen englischen Plumpudding gemacht. In Erinnerung davon blieb der kleinen Editha vor allem die „riesige Stichflamme“ beim Flambieren. Am ersten Weihnachtsfeiertag ging es morgens in die Kirche zum Kindergottesdienst mit Krippenspiel, die Kinder sagten Gedichte und die Weihnachtsgeschichte auf.
Nachmittags ging es wieder zur Großmutter und die jüngste Schwester der Mutter, die außerhalb lebte, kam mit ihrer Familie zu Besuch. „Wir waren dann sechs Kinder und haben zusammengesessen und geklönt. Der Großvater und die Schwiegersöhne haben Skat gespielt.“ 1925 geboren hat Editha Hackspiel als Kind auch den Zweiten Weltkrieg miterlebt und die damit verbundenen Entbehrungen. „Das soll hier nicht im Vordergrund stehen“, sagt sie. Doch kurz vor Kriegsende wurde dazu aufgerufen, dass die Kinder die Großstädte wegen eines bevorstehenden Angriffes verlassen und für eine Weile aufs Land ziehen sollten. „Uns verschlug es nach Schlesien. Mein Vater war Kaufmann und hatte die Generalvertretung der Firma Loewe Opta aus Berlin.“
Die ganze Firma war nach Schlesien versetzt worden und ermutigte den Vater, ebenfalls dorthin zu kommen. „Wir wurden von der dortigen Bevölkerung liebevoll aufgenommen, haben Weihnachten gefeiert“, erinnert sich Editha Hackspiel. „Doch einige Zeit später hörten wir plötzlich Kanonendonner von rechts. Mein Vater sagte: Kommt, wir müssen nach Hause, die Russen kommen. Wir – bei weiß Gott wie viel dickem Schnee und Eiseskälte – haben die Flucht ergriffen.“
Im Jahr zuvor hatte die Mutter den beiden Schwestern eine Käthe-Kruse-Puppe geschenkt. Die gab es gerade neu. Auf die Flucht durften die Kinder jeder ein Köfferchen mitnehmen. „Da war die Käthe-Kruse-Puppe drin. Als wir dann vor den Russen Reißaus nehmen mussten, haben wir unser Gepäck verloren. Die Käthe-Kruse-Puppen waren weg!“, erzählt Editha Hackspiel. Sie hat sich später gleich mehrere neue gekauft.
Viel lieber erinnert sie sich auch an lustige Begebenheiten. Zum Beispiel eine mit ihrer Großmutter. Die war nicht nur eine musikalische, sondern auch eine fromme Frau, die jeden Sonntag in die Kirche ging. Dabei erlebte die kleine Editha eine Begebenheit, über die die 97-Jährige noch heute schallend lachen kann. Eines Tages hatte sich die Großmutter schon fertig mit Hut bekleidet noch kurz über den Tisch gebeugt und dabei den Fliegenfänger erwischt. Der blieb auf dem Hut kleben. Als die kleine Editha in der Kirche saß und die Großmutter in der Bank vor ihr, wunderte sie sich: „Was hat denn die Oma da?“ Das passierte ihr später nicht noch mal.
Als einmalig erinnert Editha Hackspiel auch ein anderes Missgeschick in der Weihnachtszeit. Der Tannenbaum hatte schon zu nadeln begonnen. Noch ein letztes Mal wollte die Familie die Kerzen anzünden. Da griff eine Stichflamme einer Kerze auf den Baum über, die ganze Seite brannte. Zum Glück hatte die Mutter einen Eimer Wasser bereitgestellt. So war der Brand schnell gelöscht, aber die gute Stube war unter Wasser. Für den Brandfleck an der Decke mussten die Anstreicher kommen. Fortan gab es elektrische Kerzen.
Später gab es zu Weihnachten für Editha und ihre Schwestern immer ein Buch von Johanna Spyri. „Da warteten wir schon drauf.“ Als sie in der vierten Klasse war, gab es ein Fahrrad. Mit dem konnte Editha in die neue Schule nach Kaiserswerth zu den Diakonissen fahren. Damit sie sich bei einem Platten zu helfen wusste, bekam sie beigebracht, wie man einen Reifen flickt.
Die Zeit ihrer Kindheit liegt lange zurück. Doch manches hat Editha Hackspiel beibehalten. Sie lebt heute in Büderich Seite an Seite mit ihrer Tochter und deren Familie. Weihnachten wird mit der Familie zusammen gefeiert. Und zum Essen gibt es Thüringer Klöße.