Alter Speicher wird zur Hafen-City
Wo früher Korn und Früchte umgeschlagen wurden, soll eine hochmoderne Speicherstadt entstehen.
Neuss. Tauben steigen auf. Selten werden sie von Besuchern gestört. Schon 1993 stellte die Neusser Lagerhaus AG ihren Betrieb an der Düsseldorfer Straße ein. Seither betrachten die Vögel den gewaltigen, 14 Meter hohen Kornspeicher als ihr Revier. Die Reste eines hundert Jahre währenden Getreideumschlags decken den Tieren bis heute reichlich den Tisch. Doch das „Reich der Tauben“ neigt sich seinem Ende zu.
Für Rainer Kohl ist diese „Kathedrale“ — so nennt der Düsseldorfer Projektentwickler den 1924 errichteten, unter Denkmalschutz stehenden Kornspeicher — eine „phänomenale Location“, für die sich eine „einzigartige Nutzung“ abzeichne. Mehr lässt sich Kohl derzeit noch nicht entlocken. Wenn alles gut laufe, kündigt er aber an, könne er den „Schlüsselmieter“ bereits zur Eröffnung der Brücke über das Hafenbecken I und des Uferparks am 29. Mai vorstellen.
Kohl glaubt offenbar fest an sein ehrgeiziges Projekt, den ehemaligen Lagerhaus-Komplex in ein „Landmark und Stadtentree“ mit Büros, Gastronomie, Gewerbe und Freizeitangeboten zu verwandeln. Das Investitionsvolumen beziffert er mit 40 Millionen Euro. Die Projektgesellschaft LOX, deren Geschäftsführer Kohl ist, hat das Grundstück mit den historischen Aufbauten erworben, die Baugenehmigung durch die Stadt ist erteilt, die Erschließung über die neue Kaistraße ist erfolgt. „Wir sind mit der Vorbereitungen schon sehr weit“, sagt Kohl, der daher mit einer kurzen Bauzeit von „nur zwei Jahren“ rechnet. Seine Aufgabe ist es nun, Nutzungskonzepte, potenzielle Mieter und Investoren unterschriftsreif zusammenzubringen. Wenn der „Schlüsselmieter“ für den Kornspeicher einschlage, dann fehlten ihm nur noch „nur ein, zwei kleinere Mieter, um starten zu können“.
Das Neusser Projekt, LOX inspiring port betitelt, ist das bislang größte Vorhaben, an das sich Kohl herangewagt hat; Schloss Laach in Monheim ist wohl sein bekanntestes. Seit fünf Jahren zieht ihn das alte Neusser Gemäuer in den Bann. Seit er Eigentümer ist, hat er hunderte Mal der Faszination dieser Industrieanlagen nachgespürt. Bei jedem Gang durch das Lagerhaus entwickelt er neue Ideen.
Dabei ist jeder Gang von den Kasematten im Keller bis zum Maschinenraum auf dem Speicher ein kleines Abenteuer. Stufen der Holztreppe ächzen, sobald der Besucher sie betritt, nicht überall vermitteln die Geländer auch wirklich Sicherheit und Löcher im Holzboden — durch die sich einst Früchte von einem Geschoss ins nächst tiefere ergossen — geben den Schwindelfreien die Sicht in die Tiefe frei. Es riecht nach kaltem Rauch. Immer wieder verschaffen sich ungebetene Gäste Zutritt, die auch mehrmals schon Feuer legten. Den Schaden hielt die Wehr in Grenzen. Die Sicherung des Komplexes ist schwierig.
Dort, wo Ende des 19. Jahrhunderts die Erfolgsgeschichte Neusser Unternehmen begann, plant Rainer Kohl mit seiner Metamorphose der alten Speichergebäude den Sprung in die moderne Arbeits- und Lebenswelt des 21. Jahrhunderts. Früchte- und Kornspeicher, die beiden Kernstücke der neuen Konzeption, werden bis heute vom ehemaligen Silo verbunden, der nicht denkmalgeschützt ist. Er wird abgerissen und Platz machen für eine Stahlbeton-Glas-Konstruktion.
Spannend ist das Projekt am Eingang zur City, zwischen Hafen und Bahnhof gelegen, allemal. Ob es ein Erfolg wird, muss sich zeigen. Kohl glaubt jedenfalls an das, was er plant und tut: Aus dem Taubenschlag wird eine Speicherstadt.