Die letzte Schicht in der Neusser Schraubenfabrik

Gestern wurden bei Whitesell die letzten Maschinen abgestellt. Was aus dem Gelände wird, ist noch nicht geklärt.

Neuss. Die letzte Schicht war für Anastasia Malea gestern um 11 Uhr vorbei. Ihr Spind war ausgeräumt, alle Schlüssel abgegeben. Nach 29 Jahren in der Neusser Schraubenfabrik wechselt sie nun in eine Auffanggesellschaft, die ihr noch bis Ende März Gehalt zahlt. „Die Aussichten sind super, sagt der Vermittler beim Jobcenter“, sagt sie voller Ironie. Doch mit 53 Jahren gibt sie sich keinen Illusionen hin. Bevor sich Malea mit ihrem Mann, der nach 36 Jahren im Werk schon vor Monaten von Whitesell die Papiere erhalten hatte, weiter Gedanken um die berufliche Zukunft macht, ließ sie gestern beim Brunch mit ihren Kolleginnen den Tränen freien Lauf.

Alexander von Rittberg ließ sie ziehen. „Warum soll ich sie bis zum Schichtende um 14 Uhr hier behalten?“, fragt Rittberg, der als Repräsentant des Insolvenzverwalters seit Monaten bei vielen Entscheidungen das letzte Wort hat. „Es gibt doch nichts mehr zu tun.“

Auf dem Höhepunkt der Unternehmensgeschichte hatte die vor 139 Jahren von Georg Bauer und Christian Schaurte als „Rheinische Schrauben- und Mutternfabrik“ gegründete Firma 2000 Mitarbeiter, gestern verloren sich in den Hallen der Produktion gut 20, auf den Fluren der Verwaltung noch einmal zehn. Die übrigen Mitarbeiter der Rumpfbelegschaft, die im September, als die Nachricht vom endgültigen Aus das seit Januar insolvente Unternehmen erreichte, waren sukzessive in eine Auffanggesellschaft gewechselt, die Betriebsrat und IG Metall noch erstreiten konnten. „Im Moment ist es so, als ob man jemandem beim Sterben zusieht“, sagt Gudrun Coenen, die im Forderungsmanagement noch ein paar Tage mit der Abwicklung des Unternehmens zu tun haben wird.

Obwohl die Nachrichten zur Zukunft des Werkes immer schlechter wurden, gab es keine Abwanderungsbewegungen. „Die Belegschaft stand treu zum Unternehmen“, sagt von Rittberg anerkennend. Gebraucht wurden aber am Ende nur noch vielseitige Fachkräfte wie Daniel Fröhmelt. „Wer nur an einer Maschine arbeiten konnte, musste gehen“, sagt der 33-Jährige, der als Springer gebraucht wurde, um Restaufträge für den letzten verbliebenen Abnehmer abzuarbeiten. Gestern war auch für ihn Ende. Froh ist von Rittberg, dass alle acht Auszubildenden vermittelt werden konnten. Produktionsleiter Rolf Weitz (63) hofft, dass er nach 45 Berufsjahren bald in Rente gegen kann, Werksleiter Frank Ehlen, 35 Jahre im Betrieb, und Christoph Schmidt-Bode, 26 Jahre dabei und einige davon als Geschäftsführer, teilen das Schicksal der meisten aus der Belegschaft: Zukunft ungewiss. Was aus dem Werk wird, ob es die Stadt ankauft, ist offener denn je. Die Grünen hatten zur Besichtigung des Verwaltungsgebäudes eingeladen, in dem die Stadt Flüchtlinge unterbringen will. Das, so fasst Michael Klinkicht (Grüne) zusammen, werde nicht ohne Weiteres möglich sein — „wenn es überhaupt sinnvoll ist“. Sicher ist nur: Industrie hat sich an diesem Standort erledigt.